Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
grausigen Geschichten, die heute Morgen, für alle vernehmlich, auf jedem Kanal und jeder Piazza kursieren.
In Treue, deine Bianca
»Verdammt«, fluchte ich und faltete den Brief zusammen. »Marius wird vier Nächte fort sein, und nun das hier. Muss ich mich jetzt für diese vier verflixten Nächte im Haus vergraben?«
»Das solltest du besser tun«, bestätigte Riccardo.
»Dann weißt du also über diese Sache Bescheid?«
»Bianca hat es mir erzählt. Dieser Engländer hat dich bis zu ihrem Haus verfolgt und gehört, dass du die ganze Zeit dort warst. Daraufhin hätte er ihr beinahe die gesamte Wohnung auseinander genommen, wenn ihre Gäste ihn nicht mit geballter Kraft aufgehalten hätten.«
»Und warum, um Himmels willen, haben sie ihn nicht umgebracht?«, schimpfte ich angewidert.
Riccardo schaute sehr bekümmert, aber auch sehr mitfühlend drein. »Ich glaube, sie haben darauf gezählt, dass unser Herr das erledigt«, sagte er, »da du es bist, hinter dem der Kerl her ist. Woher weißt du so genau, dass der Meister vier Nächte fortbleibt? Wann hat er je Genaues gesagt? Er kommt und geht, er kündigt sich niemandem an.«
»Hmmm, lass uns jetzt nicht diskutieren«, sagte ich verlegen. »Riccardo, ich weiß, er kommt vier Nächte lang nicht heim, und ich werde nicht hier eingepfercht bleiben, vor allem nicht, während Lord Harlech da draußen Theater macht.«
»Du solltest besser hier bleiben!«, entgegnete Riccardo. »Amadeo, dieser Engländer ist berühmt für sein Geschick mit dem Schwert. Er übt mit einem Fechtmeister. Er ist der Schrecken aller Tavernen. Du wusstest das doch, als du dich mit ihm eingelassen hast, Amadeo. Überleg, was du tust! Er ist unrühmlich bekannt für jede Schandtat und für nichts Gutes.«
»Dann komm mit mir. Du brauchst ihn nur abzulenken, dann erwische ich ihn schon.«
»Nein, du bist zwar gut mit dem Degen, das ist nur zu wahr, aber du kannst nicht gegen einen Mann antreten, der schon die Klinge geschwungen hat, ehe du geboren wurdest!«
Ich sank zurück auf das Kissen. Was sollte ich tun? Ich war Feuer und Flamme, der Welt gegenüberzutreten, mit meinem ausgeprägten Sinn für die Dramatik und die Bedeutung meiner letzten Tage, unter den Lebenden alles in mich aufzunehmen, - und nun dies! Und der Mann, der mir gerade mal ein paar Nächte ungezügelten, wüsten Vergnügens wert gewesen war, verkündete zweifellos weit und breit sein Missvergnügen.
Es war bitter, doch mir schien, ich musste im Hause bleiben. Man konnte nichts tun. Ich war wirklich scharf darauf, ihn zu töten, mit meinen eigenen Dolch und Degen, und ich glaubte sogar, eine ganz gute Chance gegen ihn zu haben, doch was war schon dieses billige Abenteuer gegen das, was vor mir lag, wenn mein Herr zurückkam? Tatsache war, ich hatte die Sphäre dessen, was üblich war, schon verlassen, die Sphäre, in der man eine offene Rechnung beglich, und ich konnte mich jetzt nicht in etwas verwickeln lassen, das aus einer dummen Unbesonnenheit entstanden war, wenn ich mir dadurch das unbekannte, seltsame Schicksal verscherzte, auf das ich mich hin bewegte.
»In Ordnung«, sagte ich schließlich. »Und Bianca, ist sie vor dem Kerl sicher?«
»Ganz sicher. Sie hat mehr Bewunderer, als ins Portal ihres Hauses passen, und sie hat sie alle gegen diesen Kerl aufmarschieren lassen, auch für dich. Nun schreib ihr ein paar Zeilen, die ihr deine Dankbarkeit und deine Vernunft beweisen, und mir schwörst du ebenso, dass du im Hause bleiben wirst.«
Ich stand auf und ging zum Schreibtisch unseres Herrn. Ich nahm schon die Feder zur Hand, doch ein schreckliches Geschepper und eine Folge durchdringender Schreie, die durch sämtliche Räume des Hauses hallten, ließen mich innehalten. Ich hörte Leute rennen. Riccardo legte unvermittelt die Hand an das Heft seines Degens. Ich nahm meine eigenen Waffen, zog sowohl Dolch als auch De gen aus ihrer Scheide.
»Lieber Herr Jesus, der Mann kann doch nicht im Hause sein!« Ein grässlicher Schrei übertönte alles andere. Der kleinste der Knaben, Giuseppe, erschien in der Tür, kreidebleich im Gesicht, die Augen weit aufgerissenen. »Was zum Teufel ist los?«, wollte Riccardo wissen, indem er ihn packte.
»Er ist getroffen worden. Schau, er blutet!«, rief ich.
»Amadeo! Amadeo!«, drang es laut von dem steinernen Treppenaufgang herüber. Es war die Stimme des Engländers.
Der Junge krümmte sich vor Schmerz, die Klinge hatte ihn mit größter Grausamkeit mitten im Bauch
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