Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
verbrannte mich… Ich bat ihn, mich nicht anzufassen, aber er hörte mich nicht - ich hörte mich nicht einmal selbst. Ich sprach gar nicht. Ich wollte sprechen, aber meine Zunge war zu schwer und viel zu groß in meinem Mund. Du wirst von dem Gift abbekommen, wollte ich rufen. Aber es gelang mir nicht. Ich schloss die Augen, trieb in barmherzigem Nebel dahin. Ich sah ein großes, funkelndes Meer, wohl die See, die sich hinter dem Lido erstreckte. Mit wunderbar gekräuselten Wellen lag es unter der Mittagssonne. Ich schwamm auf diesem Meer, in einer kleinen Barke vielleicht oder auch nur einfach auf dem Rücken. Ich konnte das Wasser nicht spüren, doch es schien sich nichts zwischen mir und de n sanft schwappenden Wellen zu befinden, die groß und gemächlich und ganz sanft waren und mich auf und ab trugen. An einem Ufer in weiter Ferne schimmerte eine große Stadt. Zuerst dachte ich, es wäre Torcello oder sogar Venedig selbst, und ich hätte mich irgendwie gedreht und würde nun in Richtung Land getragen. Dann sah ich, dass die Stadt viel größer war als Venedig, mit spitzen, hoch aufragenden Türmen, die das Licht reflektierten, als wären sie ganz aus funkelndem Glas gemacht. Ach, es war so wunderschön!
»Bin ich auf dem Weg dahin?«, fragte ich.
Die Wellen schienen über mir zusammenzuschlagen, doch nicht mit erstickender Nässe, sondern wie eine schweigende Decke aus schwerem Licht. Ich schlug die Augen auf. Über mir sah ich das Rot des seidenen Betthimmels. Ich sah die goldenen Fransen, die an die Vorhänge genäht waren, und dann sah ich Bianca Solderini über mir. In der Hand hielt sie ein Tuch.
»An den Klingen war nicht genug Gift, um dich zu töten«, sagte sie. »Es hat dich nur sehr krank gemacht. Nun hör mir gut zu, Amadeo, du musst ganz ruhig und kraftvoll atmen und ganz fest entschlossen gegen diese Erkrankung ankämpfen, damit du gesund wirst. Selbst die Luft musst du darum bitten, dir Kraft zu schenken, und du musst ganz fest darauf vertrauen - genau so, tief und langsam musst du atmen, ja, so ist es richtig, und du musst dir klar machen, dass du das Gift ausschwitzt, du darfst nicht an das Gift glauben, du darfst keine Angst haben.«
»Unser Meister weiß es sicher schon«, sagte Riccardo. Er sah mitgenommen und unglücklich aus, und seine Lippen zitterten. Seine Augen schwammen in Tränen. Ach, ein verdächtiges Zeichen, sicherlich. »Unser Meister weiß es irgendwie. Er weiß immer alles. Er wird seine Reise unterbrechen und herkommen.«
»Wasch ihm das Gesicht«, sagte Bianca ruhig. »Wasch ihm das Gesicht und sei still.« Wie tapfer sie war!
Ich bewegte meine Zunge, doch brachte ich kein Wort zustande. Ich wollte erklären, dass sie mir sagen sollten, wann die Sonne unterging, weil erst dann, und nur dann, möglicherweise unser Meister käme. Die Chance bestand sicherlich. Aber dann und nur dann. Er würde vielleicht zurückkehren.
Ich drehte den Kopf zur Seite, weg von ihnen. Das Tuch verbrannte mich. »Sachte, ganz ruhig«, murmelte Bianca. »Ja, atme tief ein und hab keine Angst.«
Lange Zeit lag ich da, schwebte knapp unterhalb meiner Bewusstseinsschwelle, dankbar dafür, dass ihre Stimmen nicht so scharf waren, dass ihre Berührung nicht zu schrecklich war, aber die Schweißausbrüche waren fürchterlich, und ich hafte das verzweifelte Gefühl, nie wieder abzukühlen.
Ich warf mich hin und her, und einmal versuchte ich mich aufzurichten, aber mir wurde so übel, dass ich mich übergeben musste. Ich war sehr erleichtert, als sie mich wieder flach hingelegt hatten. »Komm, halt meine Hände«, sagte Bianca, und ich spürte, wie sich ihre Finger um meine schlossen, so klein und viel zu heiß, heiß wie alles um mich, heiß wie die Hölle, dachte ich, aber eigentlich war ich zu krank, um mir Gedanken um die Hölle zu machen, zu krank, um an etwas anderes zu denken, als dass ich mein Innerstes nach außen würgte, und dass ich irgendwohin wollte, wo es kühl war. »Ach, öffnet doch die Fenster, lasst doch die kalte Winterluft herein, was tut es schon, öffnet die Fenster!«
Dass ich vielleicht sterben würde, schien mir einfach nur ein Ärgernis und nicht mehr. Dass es mir bald wieder gut ginge, schien wesentlich wichtiger zu sein, und ich machte mir nicht die geringsten Gedanken um meine Seele oder um irgendein zu erwartendes Jenseits. Und dann änderte sich abrupt alles.
Ich fühlte, wie ich aufwärts stieg, als hafte mich jemand am Kopf aus dem Bett gezogen und würde
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