Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
verachtenswertes Engelchen, ich werde dir die Flügel ausrupfen!«, wütete er. Dann trieb er mich mit einer schnellen Schlagfolge zurück. Ich stolperte, verlor das Gleichgewicht und fiel, doch es gelang mir, mich wieder hochzurappeln und aus dieser gebückten Haltung heraus einen Stich gefährlich nahe an seinen Hoden zu landen, was ihm einen echten Schrecken versetzte. Ich rannte gegen ihn an, in dem Wissen, dass ich nichts dabei gewinnen konnte, wenn sich der Kampf noch lange hinzöge.
Er wich meiner Klinge aus, lachte verächtlich und verpasste mir einen Schnitt mit dem Dolch, dieses Mal im Gesicht.
»Schweinehund!«, knurrte ich. Ich konnte es nicht unterdrücken. Ich hatte nicht gewusst, dass ich so ungeheuer eitel war. Mein Gesicht, ausgerechnet! Er hatte mir die Wange aufgeschlitzt! Ich spürte das Blut fließen, und ich stürzte mich abermals auf ihn. Ich hatte alle Regeln des Zweikampfes vergessen, und mein Degen fuhr in einer wildverrückten Serie von Hieben durch die Luft. Dann, als er wie rasend rechts und links parierte, duckte ich ab und erwischte ihn mit meinem Dolch mitten im Bauch, riss die Klinge aufwärts, bis sie von dem dicken, mit Gold eingelegten Leder seines Gürtels aufgehalten wurde. Ich sprang zurück, als er mich mit seinen beiden Waffen gleichzeitig erledigen wollte, und dann ließ er sie fallen und griff nach der klaffenden Wunde. Er fiel auf die Knie.
»Gib ihm den Rest!«, rief Riccardo. Er blieb im Hintergrund, schon so jung ein Ehrenmann. »Töte ihn jetzt, sonst tu ich es. Denk daran, was er unter diesem Dach getan hat!«
Ich hob den Degen.
Der Engländer schnappte sich plötzlich mit der blutigen Hand seinen Degen, und obwohl er vor Schmerz stöhnte und ächzte, richtete er sich in einem Zug auf und rannte mit blitzender Klinge gegen mich an. Ich sprang zurück. Er fiel auf die Knie, fahl und zitternd. Er ließ den Degen fallen, während er abermals nach der Wunde in seinem Bauch tastete. Er starb nicht, aber er konnte nicht mehr kämpfen. »O Gott«, sagte Riccardo. Er hielt seinen Dolch umklammert. Aber offensichtlich konnte er sich nicht dazu durchringen, auf den unbewaffneten Mann loszugehen.
Harlech fiel auf die Seite und zog die Knie an den Leib. Sein Gesicht verzerrte sich. Er ließ den Kopf auf die Steine sinken, und seine Miene erstarrte zu einer feierlichen Grimasse, während er einen keuchende n Atemzug tat. Er kämpfte gleichermaßen gegen schreckliche Schmerzen und die Gewissheit, dass er sterben würde.
Riccardo trat vor und setzte die Spitze seines Degens an Lord Harlechs Wange an.
»Er liegt im Sterben, lass es dabei«, sagte ich. Doch der Mann hörte nicht auf zu atmen. Ich wollte ihn töten, ich wollte es wirklich, doch es war mir unmöglich, jemanden umzubringen, der so ruhig und so tapfer dalag.
In seinen Augen erschien ein abgeklärter Ausdruck, irgendwie poetisch. »Und so endet es denn hier«, sagte er mit ganz leiser Stimme, so dass Riccardo ihn wohl nicht einmal hören konnte. »Ja, es endet«, stimmte ich zu. »Lass es edel enden.«
»Amadeo, er hat zwei Kinder gemordet!«, mahnte Riccardo. »Hebt Euren Dolch auf, Lord Harlech!«, sagte ich förmlich. Ich stieß die Waffe mit dem Fuß näher zu ihm. Schob sie ihm direkt in die Hand. »Hebt sie auf, Lord Harlech«, wiederholte ich. Blut rann mir über Gesicht und Hals, juckend und klebrig. Ich konnte es nicht ertragen. Viel lieber hätte ich meine eigenen Wunden gepflegt, als mich mit ihm herumzuplagen. Er drehte sich auf den Rücken. Blut floss ihm aus dem Mund und dem aufgeschlitzten Bauch. Sein Gesicht war von Feuchtigkeit überzogen und glänzte, er atmete zusehends schwerer. Er schien wieder sehr jung zu sein, so jung wie in der Nacht, als er mir gedroht hatte, ein zu groß geratener Junge mit einem Schopf flammend roter Locken. »Denk an mich, wenn du zu schwitzen beginnst, Amadeo«, sagte er. Er sprach immer noch sehr leise, und seine Stimme war jetzt heiser. »Denk an mich, wenn du erkennst, dass dein Leben ebenfalls zu Ende geht.«
»Durchbohr ihn«, flüsterte Riccardo mir zu. »Mit dieser Wunde könnte es zwei Tage dauern, bis er stirbt.«
»Und für dich wird es nicht einmal zwei Tage dauern«, kam Lord Harlechs Stimme, von Keuchen unterbrochen, vom Boden, »nicht mit den vergifteten Schrammen, die ich dir zugefügt habe. Merkst du schon etwas an deinen Augen? Deine Augen brennen, nicht wahr, Amadeo? Das Gift geht ins Blut über, und in den Augen wirkt es zuerst. Ist dir
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