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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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darüber. »Geh weiter, Andrei«, mahnte einer der Priester. Seine schmutzige Hand, an der festgebackener Lehm klebte, berührte mich und zerrte an mir, quetschte mir meine Finger, bei deren Anblick ich dachte, dass sie so dünn und gespenstisch weiß schimmerten, dass die Knöchel schimmerten, als wären sie schon von jedem Fleisch entblößt, aber das stimmte nicht. Es war nur so, dass nichts als lose Haut an meinen Knochen klebte, ich war genauso ausgezehrt wie die Priester. Nun kamen wir an den Fluss, dessen Wasser sich bis in die Ebene vorgeschoben und einen trüben See gebildet hatte. Eisschollen und Graupel trieben zusammen mit ineinander verkeiltem Treibgut darin. Wir mussten mitten hindurchgehen, so dass die eisige Kälte ins Gebein schnitt. Doch wir zogen weiter, wir vier, die drei vorangehenden Geistlichen und ich. Über uns dräuten die goldenen Kuppeln von Kiew. Es waren die Kuppeln unserer Santa Sophia, davongekommen bei der Brandschatzung, als die Mongolen unsere Stadt samt all ihren Reichtümern und all den sündigen, weltlichen Menschen darin verwüstet hatten.
    »Komm, Andrei.«
    Ich kannte diesen Flur. Er rührte in das Kloster der unterirdischen Höhlen. Nur Kerzen erhellten diese Katakomben, und der Geruch nach Erde überdeckte alles, selbst noch den Gestank von getrocknetem Schweiß auf schmutz- und krankheitsverseuchtem Fleisch. Ich hielt den rauen hölzernen Griff einer kleinen Schaufel in der Hand, schob sie tief in die aus losem, erdigem Grus bestehende Wand, bis meine Augen darunter einen Mann entdeckten, noch nicht tot, aber träumend unter dieser Erdschicht, die sein Gesicht bedeckte. »Ich lebe noch, Bruder Andrei, gib mir gerade so viel, wie ich zur Existenz benötige«, kam es von den gesprungenen Lippen. Dabei hoben sich die bleichen Lider nicht einmal. »Gib mir gerade so viel, dass unser Herr und Heiland, Christus selbst, bestimmen kann, wann ich zu Ihm heimgehen soll.«
    »Ach, Bruder, wie beherzt du bist«, sagte ich, während ich einen Krug Wasser an seine Lippen setzte, auf denen sich beim Trinken Lehmstreifen absetzten. Dann lehnte er den Kopf zurück in den weichen Grus und wandte sich kaum merklich von dem Wasserkrug ab. Unter mühsamen Atemzügen sagte er: »Und du, Kind, wann wirst du die Kraft haben, dir neben uns in der Erde deine Zelle zu wählen, dein Grab, um auf die Ankunft unseres Herrn Christus zu warten?«
    »Ich bete darum, dass es bald ist«, antwortet ich ihm. Ich trat zurück und hob die Schaufel. Als ich die nächste Zelle freilegte, drang ein unverkennbarer, scheußlicher Gestank in meine Nase. Der Priester an meiner Seite hielt meine Hand zurück.
    »Unser guter Bruder Joseph ist endlich zum Herrn eingegangen«, sagte er. »Also entblöße sein Gesicht, damit wir uns überzeugen können, dass er in Frieden starb.«
    Der Gestank wurde stärker. Nur tote Menschen verströmen einen solchen Geruch. Es ist der Gestank verlassener Gräber, von Karren, die aus den Pestbezirken kommen. Ich fürchtete, mich übergeben zu müssen. Aber ich grub weiter, bis wir schließlich den Kopf des Toten freilegten. Ein kahler Schädel mit geschrumpfter Haut umhüllt. Die hinter mir Stehenden murmelten Gebete. »Mach die Zelle wieder zu, Andrei.«
    »Wann wirst du dir ein Herz fassen, Bruder? Nur Gott kann dir sagen, wann -«
    »Das Herz wofür?« Ich kannte die dröhnende Stimme, den breitschultrigen Mann, der sich den Weg hinunter in die Katakomben bahnte. Dieses kastanienfarbene Haar und den Bart konnte man nicht verkennen, nicht sein ledernes Wams und die Waffen, die ihm am Gürtel hingen.
    »Das habt ihr auch mit meinem Sohn vor, mit dem Maler von Ikonen!« Er packte mich grob an der Schulter, wie schon tausendmal zuvor, mit der gleichen riesigen Tatze, die mich oft genug bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen hatte.
    »Lass mich los, du unmöglicher Kerl, du unwissender Ochse«, zischte ich. »Wir sind in Gottes Haus.«
    Er zerrte so heftig an mir, dass ich auf die Knie fiel. Meine Kutte knirschte in den Nähten, schwarzer Stoff begann zu reißen. »Vater, hör auf damit und verschwinde«, sagte ich.
    »Wie kann man in diesen Erdlöchern einen Knaben einsargen, der imstande ist, zu malen wie die Engel.«
    »Bruder Iwan, hör auf mit dem Gebrüll. Es ist an Gott, zu entscheiden, was jeder zu tun hat.«
    Als ich in die Werkstatt geschleift wurde, rannte der Priester hinter mir her. Dort hingen Ikonen reihenweise von der Decke und bedeckten die ganze hintere Wand. Mein Vater

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