Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
der Boden einfach gehalten, schimmerte wunderbar und fühlte sich seidenglatt unter den nackten Füßen an.
Ich merkte, dass ich diese herrlichen Wand- und Bodenflächen mit der Faszination eines fieberverseuchten Hirns anstarrte. Das Gemälde, das sich derart an der gesamten Wand zu meiner Rechten hinstreckte, schien eine Fülle ganz realer Geräusche von sich zu geben … das gedämpfte Knirschen der Hufe, die schlurfenden Schritte der zu Fuß gehenden Führer, das Rascheln der rot blühenden Sträucher neben den Pferden und sogar die entfernten Rufe der Jäger, die mit ihren hageren Jagdhunden die in der Ferne sichtbaren Bergpfade entlangstrichen. Mein Herr stand in der Mitte dieses Saales. Er hatte seinen gewohnten roten Samt abgelegt und trug nur einen offenen Kaftan aus einem goldenen Gewebe mit glockigen, bis über die Handgelenke fallenden Armein, dessen Saum seine nackten, weißen Füße streifte. Sein Haar, ein gelb glänzender Heiligenschein, hing ihm lose auf den Schultern. Ich trug ein ebenso einfach und edel gearbeitetes Gewand. »Komm her, Amadeo«, sagte er zu mir.
Ich war entsetzlich schwach, ich war durstig und konnte kaum auf den Füßen stehen. Da er das jedoch wusste, schien eine Weigerung nicht angebracht. So machte ich einen unsicheren Schritt nach dem anderen, bis ich in seine ausgestreckten Arme sank. Seine Hände legten sich um meinen Hinterkopf. Ein Gefühl furchteinflößender Endgültigkeit überflutete mich.
»Du wirst nun sterben und dann auf ewig mit mir zusammen sein«, hauchte er an meinem Ohr. »Du brauchst keine Angst zu haben, nicht einen Moment lang. Ich werde dein Herz in sicherer Hut halten.« Seine Zähne stachen in meine Haut, tief, grausam, präzise wie Zwillingsdolche, und ich hörte meinen eigenen Herzschlag in meinen Ohren dröhnen. Selbst meine Eingeweide verkrampften sich, und in meinem Magen saß ein schmerzhafter Knoten. Dennoch rauschte eine wilde Lust durch all meine Adern, eine Lust, die sich in den Wunden an meiner Kehle konzentrierte. Ich spürte, wie mein Blut hinströmte zu meinem Herrn, zu seinem Durst, hin zu meinem unaufhaltsamen Tod.
Selbst meine Hände waren unter diesem aufwühlenden Gefühlssturm wie gebannt. Mein Körper schien mir wie ein fremdgesteuertes System heiß glühender Rohre zu sein, als mein Herr nun mit einem leisen, unmissverständlichen, gewollten Geräusch mein Lebensblut trank. Der Schlag seines Herzens, langsam, stetig, ein dunkler, widerhallender Ton, dröhnte in meinen Ohren.
Der Schmerz in meinen Eingeweiden wandelte sich auf geheimnisvolle Weise in sanftes, reines Entzücken. Mein Körper wurde schwerelos, verlor sein Bewusstsein von Raum und Zeit. Marius’ Herz dröhnte in mir. Obwohl meine Hände leer waren, fühlte ich lange Strähnen seiner seidigen Locken zwischen den Fingern. Ich schwebte, gehalten nur von diesem eindringlichen Herzschlag und der erregenden Strömung meines rasch dahinschießenden Blutes.
»Ich sterbe«, flüsterte ich. Diese Ekstase war nicht länger zu ertragen. Ganz abrupt verging die Welt. Ich stand allein an der verlassenen, windgepeitschten Meeresküste. Es war das Land, das ich zuvor schon gesehen hatte, doch wie anders sah es nun aus, öde, ohne die leuchtende Sonne, ohne sein Blütenmeer! Die Geistlichen waren da, doch ihre Gewänder waren staubig und düster und verströmten den Geruch von Erde. Ich kannte die Priester, ich kannte sie gut, sogar ihre Namen kannte ich. Ich erkannte auch die hageren, bärtigen Gesichter, das dünne, fettige Haar und die schwarzen Filzhüte, die sie trugen. Selbst den Schmutz unter ihren Fingernägeln hatte ich zuvor gesehen und ihre hungrigen, eingesunkenen Augen, die aus tiefen Höhlen glühten.
Sie winkten mir, zu ihnen zu kommen.
Ah, ja, zurück zu meinem Ursprung! Wir stiegen höher und höher bis wir auf einem Grat über der gläsernen Stadt standen, die weiter links von uns lag. Und wie verloren und leer sie nun war! All die flüssige Energie, die ihre unzähligen, durchscheinenden Türme hatte erstrahlen lassen, war dahin, ihre Quelle versiegt. Nichts war von den flammenden Farben geblieben als ein stumpfer Farbschimmer, ein gestaltloser Streifen am hoffnungslos grauen Himmel. Ach, traurig, traurig war es, die gläserne Stadt ihres magischen Feuers entblößt zu sehen! Ein Gewirr von Tönen entströmte ihr, ein stumpfes Klirren, als ob Glas an Glas stieße. Doch dem haftete nichts Melodisches an. Ein verschwommener Schimmer von Verzweiflung hing
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