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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Marmorboden strahlte seine Kälte schockartig gegen meine Füße, was mir in meinem Fieber unsäglich gut tat.
    Wir standen im Studio, mit dem Rücken zu dem Bild, an dem er vor ein paar Nächten noch gearbeitet hatte, und blickten auf eine weitere Leinwand mit einem Kolossalgemälde, auf dem unter einer gleißenden Sonne und kobaltblauem Himmel zwei windumwehte Gestalten inmitten eines Haines standen.
    Die Frau war Daphne, deren hochgereckte Arme sich gerade in dicht belaubte Lorbeerzweige verwandelten. Ihre Füße, zu Wurzeln geformt, bohrten sich schon tief in die braune Erde. Und hinter ihr der Gott Apollo, herrlich anzusehen mit goldenem Haar und köstlich muskulösen Gliedern, verzweifelt, weil er zu spät gekommen war, um Daphnes tödliche Metamorphose aufzuhalten, diese wahnsinnige, magische Flucht vor seinen bedrohlichen Armen.
    »Sieh die gleichgültigen Wolken hoch oben«, flüsterte mein Herr mir ins Ohr. Dabei zeigte er auf die breiten Streifen Sonnenlichtes, die er mit größerer Kunstfertigkeit gemalt hatte als die Männer, die sie tagtäglich erschauen durften. Dann sagte er die Worte, die ich schon vor langer Zeit Lestat anvertraut habe, als ich ihm meine Lebensgeschichte erzählte, Worte, die er glücklicherweise aus den wenigen Bildern barg, die ich ihm von jener Zeit übermitteln konnte. Wenn ich nun diese Worte wiederhole, die letzten, die ich als sterblicher Knabe vernehmen sollte, höre ich wieder Marius’ Stimme: »Dies ist die einzige Sonne, die du je wieder sehen wirst. Aber die Nächte ganzer Jahrtausende werden dir gehören, um ein Licht zu sehen, wie es keinem Sterblichen vergönnt ist, um es, als seist du Prometheus, von den fernsten Sternen zu ergattern, und um der wahren Erleuchtung teilhaftig zu werden.« Und ich, der ich in jenem mir verwehrten Reich ein himmlisches, um vieles herrlicheres Licht gesehen hatte, sehnte mich nur danach, dass er es nun auf ewig überschattete.

8
     
    D ie Zimmerflucht unseres Meisters: hintereinander aufgereihte Räume, deren Wände er mit makellosen Kopien der Werke seiner Lieblingsmaler bedeckt hatte, wie Giotto, Fra Angelico, Bellini. Wir standen in dem Raum, der Benozzo Gozzolis großartiges Werk aus der Medici-Kapelle in Florenz beherbergte. Der Zug der Heiligen drei Könige.
    Dieses herrliche Gemälde hatte Gozzoli in der Mitte des Jahrhunderts geschaffen. Das Original zog sich um drei Seiten des kleinen Gotteshauses. Mein Herr, in Gedächtnis und übermenschlicher Kunstfertigkeit begabt, hatte das gewaltige Werk über eine ganze lange Wand seiner riesigen Galerie ausgebreitet.
    Nicht weniger perfekt als das Original, beherrschte es den gesamten Raum, mit seiner Darstellung der vielen wunderbar gekleideten Florentiner Bürger, deren blasse Gesichter allesamt ein Bild gedankenverlorener Unschuld boten. Eine Gruppe von Reitern auf prächtigen Pferden befand sich im Gefolge des jungen Lorenzo de’ Medici, der edel, mit jugendlicher Gestalt und lebhaft geröteten Wangen und schulterlangen, goldbraunen Locken dargestellt war. Fürstlich ausgestattet, in pelzverbrämtem Wams aus Goldstorf mit lang herabfallenden, geschlitzten Ärmeln, auf einem herrschaftlich aufgeputzten ROSS , schien er mit stiller Gelassenheit den Betrachter des Bildes anzuschauen. Alle Details des Bildes waren gleichermaßen kunstvoll ausgeführt. Selbst Zügel und Zaumzeug des Pferdes aus vorzüglich gearbeitetem Samt mit Goldstickerei passten zu den eng anliegenden Ärmeln der Tunika und den roten, kniehohen Samtstiefeln, die Lorenzo trug. Doch der besondere Zauber des Gemäldes strahlte von den Mienen der jungen und alten Leute aus, aus denen sich die gewaltige Prozession zusammensetzte. Der Mund war still geschlossen, und die Augen sahen zur Seite, als wenn ein Blick direkt auf den Betrachter den Bann hätte brechen können. Bis in die fernsten Fernen erstreckte sich der Zug, vorbei an Burgen und Berghängen wand er sich gen Bethlehem.
    Auf beiden Seiten des Saales brannten dutzende silberner Armleuchter, und die dicken weißen Kerzen aus bestem Bienenwachs strahlten hell auf das Kunstwerk. Weit oben umgab ein Wolkengebirge eine Anzahl dahinschwebender Heiliger, die jeweils die Hand des Nebenmannes berührten und so ein Oval formten, während ihr Blick wohlwollend und zufrieden auf den Betrachtern ruhte. Kein Möbelstück verdeckte die glänzenden Bodenplatten aus rosafarbenem Carrara-Marmor. Ihr Muster aus grünen Weinreben teilte sie in mehrere Rechtecke auf, ansonsten war

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