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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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leben. Alles, was danach kommt, ist ein Unglück für Geist und Körper. Davon bin ich überzeugt.«
    »Ich kann dir nicht zustimmen«, widersprach Louis bescheiden. »Gibt es irgendeinen Volksstamm auf der Welt, der nicht seine Ältesten hat? Wie viele Kunstwerke, wie viel Wissen schenkten uns Menschen, die schon sehr alt waren? Wenn du so etwas sagst, klingst du wie Lestat, wenn er von seinem Wilden Garten redet. Die Welt ist mir nie wie eine unverbesserliche Wildnis vorgekommen.« Ich lächelte.
    »Du glaubst an so vieles«, sagte ich. »Man muss dich nur ein wenig drängen, und schon findet man es heraus. Und doch verleugnest du mit deiner steten Schwermut den Wert all deiner Erfahrungen.« Louis nickte und sagte: »Ich finde einfach den Sinn nicht, David.«
    »Vielleicht sollen wir ihn auch gar nicht finden, keiner von uns, ob alt oder sehr jung.«
    »Möglicherweise«, bestätigte er. »Aber im Moment ist eines wichtig - wir müssen feierlich schwören, dass wir dieser lebensprühenden, unvergleichlichen Frau nichts antun. Wir dürfen uns von ihrer Kraft nicht blenden lassen. Wir wollen ihre Wissbegier befriedigen, wir wollen aufrichtig zu ihr sein, wollen sie beschützen, aber wir werden ihr nichts antun.«
    Ich nickte. Ich wusste gut, was er meinte. Oh, wie genau ich das wusste.
    »Ich wünschte«, flüsterte Louis, »ich könnte sagen, wir nehmen unsere Bitte zurück. Ich wünschte, ich könnte ohne Merricks Hexenkunst weiterleben. Ich wünschte, ich könnte diese Welt verlassen, ohne vorher Claudias Geist zu sehen.«
    »Bitte sprich nicht davon, dein Leben zu beenden, ich kann das nicht hören!«, sagte ich hastig.
    »Oh, aber ich muss davon sprechen! Ich denke an nichts anderes mehr.«
    »Dann denk an die Worte, die ich dem Geist in der Höhle gesagt habe: Das Leben gehört den Lebenden. Und du bist lebendig.«
    »Aber zu welchem Preis …«, murmelte er.
    »Louis, wir beide verzweifeln am Leben«, sagte ich. »Und wir erwarten, dass Merricks Zauber uns Trost bringt. Wir träumen davon, selbst durch die Maske zu schauen, nicht wahr? Wir möchten etwas sehen, das uns die Zusammenhänge enthüllt, ist es nicht so?«
    »Ich weiß nicht, ob ich so bewusst an die Sache herangehe, David«, gab er zurück. Kummer verdüsterte seine Züge, und die Schwermut hatte feine Linien in seine Augen- und Mundwinkel gegraben, Linien, die verschwanden, wenn sein Gesicht ganz reglos war. »Ich weiß nicht, was ich will«, gestand er. »Ach, Geister zu sehen, wie Merrick, wie du sie gesehen hast! Ach, wenn ich nur wie andere auch dieses gespenstische Cembalo hören könnte! Ach, wenn ich doch mit einem so starken Geist wie Honey in the Sunshine sprechen könnte! Was das für mich bedeuten würde …» »Louis, womit kann ich dich dazu bringen, dass du leben willst?«, fragte ich. »Was könnte dich zu der Einsicht bringen, dass wir privilegierte Zuschauer dessen sind, was die Welt allenthalben zu bie ten hat?«
    Er lachte, ein kurzes, höfliches, aber verächtliches Lachen. »Ein reines Gewissen, David«, sagte er. »Was sonst?«
    »Dann trink von meinem Blut«, sagte ich. »Trink von Lestats Blut, er hat es dir mehr als einmal angeboten. Du hast es oft genug abgelehnt jetzt nimm es an und gewinne dadurch die Kraft, von dem ›kleinen Trunk‹ zu existieren und den Tod zu vermeiden.« Ich war selbst etwas überrascht darüber, dass ich ihm dies so nachdrücklich empfahl, denn vor diesem Gespräch vor dieser langen, mit Erzählen verbrachten Nacht - hatte ich geglaubt, dass seine Entscheidung, das mächtige Blut abzulehnen, sehr weise war. Wie ich ja bereits dargelegt habe, war Louis ein so schwacher Vampir, dass die Sonne ihn durchaus vernichten mochte, und diese Möglichkeit barg einen ungeheuren Trost, den weder Lestat noch ich mit ihm teilten.
    Jetzt gerade beäugte Louis mich mit einem Ausdruck intensiven Interesses. Ich sah in seinen Augen keine Verurteilung. Ich stand auf und ging langsam im Zimmer umher. Wieder betrachtete ich das helle, optimistische Gemälde von Monet. Plötzlich schien mir alles, was mir im Leben widerfahren war, sehr nahe zu sein, und mein ganzes Trachten war darauf gerichtet, zu leben. »Nein, ich kann nicht aus eigenem Willen sterben«, murmelte ich, »Nicht einmal, wenn es leicht wäre - wenn ich mich nur der Sonne aussetzen müsste. Ich kann das nicht. Ich will wissen, was kommt! Ich will wissen, wann und ob Lestat aus seinem Traumzustand aufwacht. Ich will wissen, was aus Merrick wird! Ich will

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