Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
zur Verfügung hätte. Eine kostbare Sekunde lang war ich wieder allein mit ihr in dem Zelt in Santa Cruz del Flores und spürte abermals die bebende Lust, die meinem Körper und meinen Geist im Höhepunkt vereinte.
    Es war ein Fluch, zu viele Erinnerungen eines Sterblichen in mein Leben als Vampir mitgenommen zu haben. Aber mein Alter hatte mir andererseits großartige Erfahrungen und reiches Wissen eingebracht. Dem Fluch hafteten eine Fülle und ein Glanz an, die ich beide nicht verleugnen konnte. Und dann kam mir etwas in den Sinn: Wenn Louis sein Leben beendete, wenn er seinen übersinnlichen Lebensweg zu einem Abschluss brächte, wie würde ich das je Lestat gegenüber oder Armand gegenüber, oder auch mir selbst gegenüber rechtfertigen?
    Eine Woche verging, dann erhielt ich einen mit der Hand geschrie benen Brief von Merrick. Sie war wieder in Louisiana.
     
    »Liebster David, kommt morgen Abend, so früh ihr könnt, zu meinem alten Haus. Der Hausmeister wird bis dahin fort sein. Und ich werde mich allein im vorderen Zimmer aufhalten.
    Ich wünsche mir sehr, Louis zu sehen und aus seinem eigenen Mund zu. hören, was ich für ihn tun soll.
    Was Claudias Besitztümer betrifft, so habe ich den Rosenkranz, das Tagebuch und die Puppe. Alles andere können wir noch regeln.«
     
    Ich konnte kaum meine Hochstimmung unterdrücken. Bis zum nächsten Tag zu warten würde eine einzige Quälerei sein. Ich ging nach Sankt Elizabeth, dem Bauwerk, in dem Lestat auf dem Boden der alten Kapelle seine einsamen Stunden im Schlummer hinbrachte.
    Louis war da. Er saß auf den Marmorfliesen neben Lestat und rezitierte mit gedämpfter Stimme aus einem alten Buch englische Gedichte.
    Ich las ihm den Brief vor. In Lestats Verhalten war keine wie auch immer geartete Veränderung zu bemerken.
    »Ich weiß, wo das Haus ist«, sagte Louis. Er war äußerst erregt, wenn er es auch meiner Ansicht nach zu verbergen suchte. »Ich werde da sein. Ich hätte dich vermutlich erst fragen sollen, aber ich habe gestern Abend schon danach Ausschau gehalten.«
    »Großartig«, sagte ich, »dann treffen wir uns morgen Abend dort. Aber hör zu, du musst …« Ich zögerte. »Komm, sag’s schon«, drängte er mich sanft. »Du musst unbedingt daran denken, dass Merrick große Macht besitzt. Wir haben geschworen, sie zu schützen, aber halte sie nicht eine Sekunde lang für schwach.«
    »Also, lass uns das Ganze ruhig noch einmal besprechen«, sagte Louis nachsichtig. »Ich verstehe es ja. Ich weiß, was du meinst. Als ich schwor, diesen Weg zu wählen, habe ich mich auf eine Katastrophe gefasst gemacht. Und für morgen Nacht werde ich mich wappnen, so gut ich kann.«
    Lestat zeigte währenddessen keinen Hinweis darauf, dass er unser Gespräch vernommen hatte. Er lag dort unverändert, sein rotes Samtjackett war zerknittert und staubig und sein blondes Haar ein wirrer Schopf. Ich kniete nieder und drückte ihm einen ehrerbietigen Kuss auf die Wange. Er starrte weiter vor sich in das Dämmerlicht. Auch jetzt hatte ich wieder den deutlichen Eindruck, dass seine Seele sich nicht in seinem Körper befand, nicht so, wie es unserer Meinung nach sein sollte. Ich hätte ihm so gern von unserem Vorhaben erzählt, doch andererseits war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt wollte, dass er es wusste.
    Mir war plötzlich klar, dass er uns aufhalten würde, wenn er wusste, was wir vorhatten. Wie weit seine Gedanken von uns entfernt gewesen sein müssen!
    Als ich ging, hörte ich, wie Louis leise und melodiös zu lesen fortfuhr, mit sanfter Leidenschaft in der Stimme.

17
    Am Abend unseres verabredeten Treffens war der Himmel sehr klar, nur ein paar strahlend weiße Wolken waren zu sehen. Die Sterne wirkten wie kleine Pünktchen, doch sichtbar, wenn ihre Gegenwart auch nur schwachen Trost spendete. Die Luft war nicht sehr feucht, jedoch erfreulich warm. Ich traf Louis am Anfang der Rue Royale, und in meiner Aufregung nahm ich nicht viel von seinem Aufzug wahr, nur dass er ungewöhnlich gut gekleidet war. Wie ich schon früher sagte, war er bei seiner Kleidung normalerweise nicht sehr wählerisch, aber in der letzten Zeit hatte er sich etwas mehr Mühe gegeben, und an diesem Abend war er ganz von seiner Linie abgewichen. Um es zu wiederholen, ich war zu fixiert auf unser Treffen mit Merrick, als dass ich groß darauf geachtet hätte. Ich stellte fest, dass er keinen Durst hatte, sondern eigentlich sehr rosig und menschlich wirkte - was bestätigte, dass er schon

Weitere Kostenlose Bücher