Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Sprache«, gab sie zurück. Ihre Augen wurden klarer, und sie hatte aufgehört zu zittern. Wenigstens das machte mich froh.
»In jener Nacht«, fuhr ich fort, »nachdem wir uns getroffen und miteinander geredet hatten, hast du einen Zauber über mich verhängt, Merrick. Auf dem Weg zurück in die Rue Royale habe ich dich überall gesehen, rechts von mir und links von mir. Und dann sah ich die Große Nananne.«
»Die Große Nananne?«, wiederholte sie mit gedämpfter Stimme, der man aber doch den Unglauben anhörte. »Wie meinst du das, du sahst die Große Nananne?«
»Als ich an der Einfahrt zu unserem Haus ankam«, sagte ich, »sah ich hinter den eisernen Gitterstäben zwei Geister - der eine war dein Abbild, als ein Kind von zehn Jahren, so, wie du aussahst, als ich dich zum ersten Mal traf, und der andere war die Große Nananne in ihrem Nachthemd, wie sie an dem Tag aussah, als ich sie das erste und letzte Mal sah, am Tag, als sie starb. Diese beiden Geister standen in der Einfahrt und sprachen miteinander, sehr vertraut, im Téte-à-Téte, ihre Augen fest auf mich geheftet. Und als ich mich ihnen näherte, verschwanden sie.«
Einen Moment lang sagte Merrick gar nichts. Ihr Augen waren zu Schlitzen verengt, und ihre Lippen teilten sich plötzlich, als dächte sie extrem konzentriert nach. »Die Große Nananne«, sagte sie dann abermals. »So, wie ich es dir gerade erzählt habe, Merrick«, bestätigte ich. »Verstehe ich jetzt recht? Du willst sie nicht beschworen haben? Du weißt, was als Nächstes geschah, oder? Ich ging zurück zu deinem Hotel in die Suite, wo ich dich zurückgelassen hatte. Ich fand dich sturzbetrunken auf dem Bett.«
»Was benutzt du doch für einen charmanten Ausdruck dafür!«, flüsterte sie verärgert. »Du kamst dahin zurück, ja, und du schriebst mir eine kurze Nachricht.«
»Aber anschließend sah ich die Große Nananne auch im Hotel sie stand in der Tür zu deinem Schlafraum. Sie forderte mich heraus, Merrick. Sie forderte mich heraus, durch ihre bloße Präsenz und Haltung. Die Erscheinung war sehr deutlich, man konnte sie nicht verleugnen. Sie hie lt sich für einige Augenblicke - ziemlich eisige Augenblicke, Merrick. Verstehe ich richtig, dass das nicht ein Teil deines Zaubers war?«
Merrick saß einige Zeit lang schweigend da, die Hände immer noch in ihren Haaren verborgen. Sie zog die Knie zur Brust hoch. Ihr durchdringender Blick löste sich keine Sekunde von mir. »Die Große Nananne«, hauchte sie. »Du sagst mir doch die Wahrheit? Aber natürlich. Und du dachtest, dass ich meine Patin gerufen hätte? Du dachtest, dass ich das könnte? Sie rufen und so einfach erscheinen lassen?«
»Merrick, ich hatte die Petrusfigur bei dir gesehen. Unter ihr lag mein Taschentuch mit meinem Blut. Ich hatte die brennenden Kerzen gesehen. Und die Opfergaben. Du hattest einen Zauber ge wirkt.«
»Ja, mein Liebster«, sagte sie schnell, indem sie meine Hand drückte, um mich zu beruhigen. »Ich habe dich behext, ich hatte dich mit einem Bindezauber belegt, weil ich wollte, dass du Verlangen nach mir hast, dass du an nichts anderes denken könntest als an mich, damit du zu mir zurückkehrtest, falls du dich zufälligerweise ent schieden haben solltest, mich nie wiederzusehen. Nur ein Bindezauber, David! Du musst mir glauben. Ich wollte nur sehen, ob ich es auch jetzt noch fertig brächte, wo du ein Vampir bist. Und siehst du, was passierte? Du hast weder Liebe noch irgendeinen Zwang verspürt, David, du hast stattdessen Trugbilder von mir gesehen. Deine eigenen Kräfte zeigten sich, David, sonst geschah gar nichts. Und dann hast du deine gemeine kleine Nachricht an mich geschrieben, und als ich sie las, hätte ich lachen mögen.« Tief bekümmert brach sie ab, sie starrte mit weit aufgerissenen Augen vor sich hin, sah vielleicht direkt in ihre eigenen Gedanken. »Und die Große Nananne?«, drängte ich. »Du hast sie nicht beschworen?«
»Ich kann meine Patin nicht rufen«, wiederholte Merrick ernst, und als sie mich ansah, verengten sich ihre Augen. »Ich bete zu ihr, David, ist dir das nicht klar? So wie ich zu Cold Sandra oder zu Onkel Vervain bete. Sie sind nicht mehr in diesem irdischen Reich, keiner meiner Vorfahren. Sie sind im Himmel, und ich bete zu ihnen, wie man zu Engeln oder Heiligen betet.«
»Ich sage dir, ich sah ihren Geist.«
»Und ich sage dir, dass ich ihn noch nie gesehen habe«, flüsterte sie. »Ich sage dir, ich gäbe alles, was ic h besitze, wenn ich dazu in
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