Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
der Lage wäre.«
Sie sah nieder auf meine Hand, die sie immer noch hielt, und dann drückte sie sie herzlich und ließ sie los. Ihr Hände fuhren wieder hoch in ihr Haar.
»Die Große Nananne ist im himmlischen Licht«, sagte Merrick in einem Ton, als stritte sie mit mir darüber, und vielleicht tat sie das ja auch. Aber ihr Blick richtete sich nicht auf mich. »Die Große Nananne ist ins himmlische Licht eingegangen«, sagte sie abermals.
»Ich weiß es.« Sie schaute in das luftige Halbdunkel, und dann wandte sie ihre Augen langsam dem Altar und der langen Reihe flackernder Kerzen zu.
»Ich glaube nicht, dass sie kam«, flüsterte sie. »Ich glaube nicht, dass sie alle in einem ›Unstofflichen Reich‹ sind! Nein, ich sage dir, ich glaube es nicht.« Sie legte die Hände auf ihre Knie. »Ich kann so etwas absolut Schreckliches nicht glauben dass all die Seelen der ›gläubig Dahingeschiedenen‹ in der Dunkelheit umherirren. Nein, so etwas kann ich nicht glauben.«
»Nun gut«, sagte ich, weil ich sie im Augenblick nur trösten wollte, obwohl ich mich sehr intensiv an die beiden Geistererscheinungen an meinem Hoftor erinnern konnte, die alte Frau und das junge Mädchen. »Die Große Nananne kam aus eigenem Antrieb. Es ist so, wie du zuvor gesagt hattest - nämlich, dass Geister nur die Wahrheit sagen, wenn sie aus eigenem Antrieb kommen. Die Große Nananne wollte mich nicht in deiner Nähe dulden, Merrick. Sie hat es mir gesagt. Und vielleicht kommt sie noch einmal, wenn ich nicht irgendwie den Schaden behebe, den ich dir zugefügt habe, und dich dann in Ruhe lasse.« Merrick schien darüber nachzudenken.
Geraume Zeit beobachtete ich sie intensiv, doch sie gab mir keinen Hinweis auf ihre Gefühle oder ihre Absichten, und dann endlich griff sie wieder nach meiner Hand. Sie zog sie an ihre Lippen und küsste sie. Es war schmerzlich süß.
»David, mein geliebter David«, sagte sie, aber ihre Augen hatten einen verstohlenen Ausdruck. »Lass mich jetzt allein.«
»Nein, ich denke nicht daran, ich gehe erst, wenn ich nicht mehr anders kann.«
»Nein, ich will, dass du jetzt gehst«, sagte sie. »Ich komme schon allein zurecht.«
»Ruf deinen Hausmeister«, sagte ich. »Ich will, dass er hier ist, ehe ich bei Sonnenaufgang fortgehe.«
Sie langte hinüber zu dem Nachtschränkchen und brachte eines dieser modernen kleinen Handys zu Tage, die nicht größer als eine Geldbörse sind. Sie tippte einige Ziffern ein, dann hörte ich die bekannte Stimme am anderen Ende. »Ja, Madam, bin schon auf dem Weg.«
Ich war zufrieden.
Ich stand auf, ging ein paar Schritte in die Mitte des Zimmers, und dann senkte sich plötzlich ein Gefühl tiefster Verlassenheit auf mich herab. Ich wandte mich um und betrachtete Merrick. Ihr Kopf ruhte auf ihren Knien, die sie an die Brust gezogen und mit den Armen umschlungen hatte.
»Hast du mich jetzt auch mit einem Bindezauber belegt, Merrick?«, fragte ich, und meine Stimme war noch sanfter, als ich beabsichtigt hatte. »Ich mag dich nicht verlassen, mein liebster Schatz. Ich kann nicht einmal den Gedanken daran ertragen, aber ich weiß, dass wir beide uns trennen müssen. Ein Treffen vielleicht noch, oder auch zwei. Nicht mehr als zwei.«
Sie blickte erschreckt auf, und ihr Gesicht zeigte einen Hauch von Angst.
»Bring ihn mir wieder, David«, sagte sie flehend. »Das musst du tun, in Gottes Namen. Ich muss Louis sehen, ich muss noch einmal mit ihm sprechen.« Sie wartete einen Moment, doch ich antwortete nicht. »Und was dich und mich angeht, sprich bitte nicht so, als ob wir einfach Lebewohl zueinander sagen könnten. David, das kann ich im Moment nicht ertragen, du musst mir versichern -«
»Es wird nicht ganz plötzlich sein«, sagte ich, sie unterbrechend, »und ich werde es dich wissen lassen. Aber wir können das nicht weiterführen, Merrick. Wenn wir so weitermachen, wirst du den Glauben an dich selbst verlieren und an alles, was dir bisher etwas bedeutete. Glaub mir, ich weiß das.«
»Aber bei dir war es doch nicht so«, sagte sie zuversichtlich, als habe sie das Ganze schon gründlich durchdacht. »Du warst glücklich und unabhängig, als du von dem Vampir Lestat umgewandelt wurdest. Du hast es mir selbst gesagt. Traust du mir das nicht auch zu, David? Jeder Mensch ist anders.«
»Du musst wissen, dass ich dich liebe, Merrick«, sagte ich zärtlich. »Versuch nicht, mir auf diese Art Lebewohl zu sagen, David. Komm, gib mir einen Kuss, und morgen Abend kommst du
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