Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Sehnsucht, die ich je gekannt habe. Und nun - immer noch der romantische Narr und der absolute Meister, wenn es um fragwürdige Taten und geringen Widerstand geht, und wie stets unfähig, mit dem Preis für mein Wollen und Verlangen zu leben - überantworte ich dir diesen exquisiten Zögling, überantworte ich dir Merrick, die du, wie ich weiß, mit kenntnisreichem Sinn lieben wirst.
Wie sehr du mich auch hasst, so bitte ich dich doch, dass du Merrick den wenigen Schmuck und die sonstigen Werte aus meinem Besitz übergibst. Ich bitte dich, ihr auch die Bilder zu überlassen, die ich im Laufe der Jahre willkürlich gesammelt habe, Bilder, die in meinen Augen und in den Augen der Welt inzwischen Meisterwerke sind. Alles, was von Wert ist, soll sie bekommen, wenn du dem zustimmst.
Lestat nun, meinem lieben Meister, sage bitte, wenn er erwacht, dass, ich ohne Hoffnung auf seine Furcht erregenden Engel in die Finsternis geschritten bin, dass ich in die Finsternis ging und nichts anderes erwarte als den Wirbelwind oder das Nichts, die er beide mit eigenem Munde so oft beschrieben hat. Sage ihm, ich bitte um Vergebung, weil ich nicht gewartet habe, bis ich mich von ihm verabschieden konnte. Was mich nun zu dir bringt, mein Freund. Ich hoffe nicht auf deine Vergebung. Tatsächlich bitte ich nicht einmal darum. Ich glaube nicht, dass du mich aus der Asche wiedererstehen lassen kannst, um mich zu foltern, aber wenn du denkst, das wäre möglich, und damit Erfolg hast, soll dein Wille geschehen. Dass ich dein Vertrauen missbraucht habe, steht zweifelsfrei fest. Was immer Merrick auch über ihren mächtigen Bindezauber sagt, kann meine Taten nicht entschuldigen, wenn sie auch behauptet, ihre Zauberkräfte, die mir unverständlich seien, hätten mich zu ihr geführt. Was ich weiß, ist, dass ich sie liebe und mir eine Existenz ohne sie nicht vorstellen kann. Aber Existenz ist nun etwas, worüber ich nicht mehr nachdenken muss.
Ich gebe mich nun dem hin, was ich als Gewissheit betrachte: die Todesart, die auch meine Claudia erlitt - erbarmungslos, unausweichlich und endgültig.«
Das war der Brief, in Louis’ altmodischer Handschrift abgefasst, auf neuem Pergament, mit großen Buchstaben und fester Hand.
Und sein Körper?
Hatte er richtig vermutet? War er zu Asche zerfallen wie das Kind, das er vor so langer Zeit an ein bitteres Geschick verloren hatte? Ganz einfach, nein.
In dem offenen Sarg, der Nachtluft ausgesetzt, lag die schwarz verbrannte Gestalt des Wesens, das für mich Louis gewesen war. Die Gestalt war so hart wie eine antike Mumie, die man ihrer Bandagen entledigt hatte, denn so fest war das Fleisch an die Knochen geschweißt worden. Seine Kleidung war stark versengt, aber noch heil. Der Sarg ringsum war geschwärzt. Gesicht und Händen - ja, der gesamten Figur - hatte der Wind nichts anhaben können, selbst die winzigsten Merkmale waren noch vorhanden. Und da, neben ihm, auf den kalten Pflastersteinen, lag Merrick auf den Knien und schaute auf den kohlschwarzen Körper hinab und rang, von Gram verzehrt, die Hände.
Langsam, unendlich langsam streckte sie die Hand aus und berührte mit ihrem zarten Zeigefinger Louis’ verbrannte Hand. Entsetzt zog sie den Finger gleich wieder zurück. Kein Eindruck blieb auf dem verkohlten Fleisch zurück. »Es ist so hart wie Kohle, David«, sagte sie weinend. »Wie kann der Wind diese Überreste verwehen? Du müsstest sie schon aus dem Sarg nehmen und unter deinen Füßen zerstampfen! Das kannst du doch nicht tun, David! Sag bitte, dass du das nicht kannst.«
»Nein, das kann ich nicht«, bestätigte ich. Ich begann wie rasend hin und her zu laufen. »Ach, was ist das für eine undankbare, elende Hinterlassenschaft!«, flüsterte ich. »Louis, ich wünschte, ich könnte dich so, wie du da liegst, begraben.«
»Das wäre wohl entsetzlich grausam«, sagte sie flehend. »David, kann es sein, dass er immer noch lebt - in dieser Gestalt? David, du weiß t über Vampire besser Bescheid als ich. David, kann er noch lebendig sein?«
Ohne ihr zu antworten, schritt ich auf und ab, an der leblosen Gestalt in den verkohlten Kleidern vorbei, und schaute immer wieder matt und elend zu den fernen Sternen auf.
In meinem Rücken hörte ich Merrick leise weinen, sie ließ nun den Gefühlen, die mit neuer Gewalt in ihr rasten, freien Lauf, den Leidenschaften, die derart über sie hinwegfegen würden, wie es kein sterblicher Mensch nachempfinden konnte. »David!« Sie rief nach mir.
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