Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Dunkeln und wartete darauf, dass sich mein Kummer verdoppelte und meine Einsamkeit vertiefte, damit ich mit den fein gestimmten Sinnen eines wilden Tieres jagen konnte?
Nach und nach schlich sich die Erkenntnis in mein Bewusstsein, schnitt mich völlig von der trübseligen Umgebung ab und ließ jede Faser meines Körpers kribbeln. Meine Augen erfassten, was mein Geist verzweifelt zu leugnen suc hte.
Merrick stand vor mir, in eben jenem roten Kleid vom Vorabend, und ihre Züge waren durch die Dunkle Gabe vollkommen verändert. Ihr cremigheller Teint schien durch die vampirischen Kräfte fast wie von innen erleuchtet, ihre grünen Augen hatten die schillernde Leuchtkraft, wie man sie von Lestat und Armand und Marius kannte, und, ja, ja, und abermals ja, von all den anderen. Ihr langes braunes Haar glänzte immer noch, und ihre schönen Lip pen trugen den ewig perfekten, unnatürlichen Schimmer.
»David!«, rief sie, und selbst in ihrer klaren Stimme klang das Blut mit, das nun in ihr floss. Sie warf sich in meine Arme. »Ach, lieber Gott im Himmel, wie konnte ich das geschehen lassen!« Ich war unfähig, sie zu berühren, mein Hände schwebten unsicher über ihren Schultern, doch plötzlich stürzte ich mich von ganzem Herzen in diese Umarmung. »Gott vergib mir! Gott vergib mir!«, stieß ich hervor und hielt Merrick dabei so fest, dass ich sie hätte verletzten können, drückte sie an mich, als ob man sie mir nie wieder entreißen sollte. Ich kümmerte mich nicht darum, ob Menschen mich hören konnten. Meinetwegen sollte es die ganze Welt wissen.
»Nein, David, warte«, bat sie, als sie wieder zu Atem kam. »Du verstehst nicht, was passiert ist. Er hat es getan, David, er hat sich der Sonne überantwortet! Beim Morgengrauen, nachdem er mir das Blut gegeben und mich vor der Sonne verborgen und mir alles Nötige erklärt hatte. Dann versprach er, dass er heute Nacht zu mir kommen würde. Er hat es getan, David! Er ist dahin und nichts ist von ihm übrig, das nicht schwarz verbrannt wäre.« Die entsetzten Tränen, die ihr über die Wangen rannen, glitzerten von dem unnatürlichen Blut.
»David, kannst du nichts tun, um ihn zu retten? Kannst du nichts tun, um ihn zurückzuholen? Das alles ist nur meine Schuld. David, ich wusste genau, was ich tat, ich habe ihn dazu gebracht, ich habe ihn so geschickt bearbeitet! Es stimmt, ich habe sein Blut benutzt und die Seide meines Kleides. Ich habe jede natürliche und unnatürliche Kraft benutzt. Ich will auch alles andere gestehen, wenn mehr Zeit ist. Ich werde dir alles erzählen. Es ist meine Schuld, dass er tot ist, ich schwöre es, aber kannst du ihn nicht zurückholen?«
23
Er war sehr umsichtig vorgegangen. Er hatte seinen Sarg, ein altehrwürdiges, auf Hochglanz poliertes Relikt, in den Hof hinter unserem Stadthaus in der Rue Royale gebracht, der durch hohe Mauern vollkommen von der Außenwelt abgeschlossen war.
Seinen letzten Brief hatte er auf den Schreibtisch im Obergeschoss gelegt, einen Tisch, den wir alle - ich, Lestat und Louis - schon das ein oder andere Mal für wichtige Schreibarbeiten benutzt hatten. Dann war er in den Hof hinuntergegangen, hatte den Sargdeckel entfernt und sich hineingelegt, um sich der aufgehenden Sonne zu stellen. Er hatte seinen freimütigen Abschiedsbrief an mich gerichtet.
»Wenn ich mich nicht irre, wird das Sonnenlicht mich einäschern. Ich bin noch nicht alt genug, als dass ich nur schwere Verbrennungen davontragen würde, und nicht mehr jung genug, als dass für die, die meine Überreste beseitigen wollen, eine blutige Masse zurückbliebe. Ich werde zu Asche zerfallen wie einst Claudia, und du, mein geliebter David, sollst diese meine Asche zerstreuen.
Dass du meine endgültige Erlösung beaufsichtigen wirst, steht außer Zweifel, denn wenn du dich meinen Überresten gegenüber siehst, wirst du Merrick schon getroffen haben und das Ausmaß meiner Untreue und meiner Liebe erkennen.
Ja, ich plädiere auf Liebe, wenn es zu verteidigen gilt, was ich getan habe, indem ich Merrick zu einem Vampir machte. Ich kann dich in diesem Punkt nicht belügen. Aber wenn es denn wichtig ist, dann lass mich dir versichern, dass ich die Vorstellung hatte, ich könnte sie nur erschrecken, könnte sie dem Tode so nahe bringen, dass sie sich dagegen entschiede, könnte sie zwingen, um ihre Rettung zu betteln.
Aber als der Prozess erst einmal begonnen war, brachte ich ihn schnellstens zu Ende, mit den reinsten Absichten und der reinsten
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