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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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denn deine Gedanken stehen mir offen wie je, David, das weißt du doch, nicht wahr?«
    Wie bestimmt ihre Stimme klang! Ja, der französische Akzent war verschwunden. Nun klangen ihre Worte knapp und prägnant, so sanft und leise sie auch sprach. Ihre großen Augen weiteten und verengten sich ausdrucksvoll mit dem Rhythmus ihrer Sätze. »Nicht einmal neulich Nacht auf der Veranda konntest du deine Gedanken in dir verschließen«, schalt sie mich. »Du hast mich geweckt. Ich habe dich gehört, als hättest du an die Scheiben gepocht. Du sagtest: ›Merrick, kannst du es tun? Kannst du für Louis de Pointe du Lac die Toten beschwören?‹ Und weißt du, was ich in deinen Gedanken mitschwingen hörte? Ich hörte: ›Merrick, ich brauche dich. Ich muss mit dir sprechen. Merrick, meine Zukunft liegt in Scherben. Merrick, ich suche nach Verstehen. Weise mich nicht ab.‹« Mich durchfuhr ein plötzlicher Schmerz. »Was du sagst, stimmt«, gestand ich ein.
    Sie trank abermals einen großen Schluck, ihre Wangen flammten von dem feurigen Getränk.
    »Aber du möchtest es für Louis«, sagte sie. »Du möchtest es so sehr, dass du deine Skrupel überwindest und an mein Fenster kommst. Warum? Dich verstehe ich. Von ihm weiß ich nur aus den Erzählungen anderer, und dann das Wenige, das ich mit eigenen Augen gesehen habe. Er ist ein umwerfender junger Mann, findest du nicht?«
    Ich war zu verwirrt, um zu antworten, zu verwirrt, um mit gezwungener Höflichkeit ein provisorisches Lügengebäude zu errichten.
    »David, bitte gib mir deine Hand«, bat sie plötzlich. »Ich muss dich berühren. Ich muss diese fremde Haut spüren.«
    »Ach, Liebes, wenn du doch nur darauf verzichten könntest«, murmelte ich.
    Ihre großen goldenen Ohrringe schmiegten sich gegen ihr dichtes dunkles Haar und ihren schön geschwungenen Hals. Alles, was sich in dem Kind hatte erahnen lassen, war zur Reife gekommen. Die Männer bewunderten sie maßlos. Das war mir schon seit langem klar.
    Sie streckte mir die Hände entgegen. Kühn, verzweifelt, reichte ich ihr meine Hand. Ich wollte die Berührung. Ich wollte die Intimität. Ich war zutiefst erregt. Und das Gefühl auskostend, wehrte ich ihre Finger nicht ab, mit denen sie meine Handfläche betrachtete.
    »Warum willst du in dieser Hand lesen, Merrick?«, fragte ich. »Was kann sie dir sagen? Dieser Körper hat einem anderen Mann gehört. Willst du die Landkarte seines zerstörten Schicksals le sen? Kannst du darin sehen, dass er ermordet und seines Körpers beraubt wurde? Kannst du etwa sehen, wie ich mich selbstsüchtig in diesem Körper einnistete, der eigentlich hätte sterben sollen?«
    »Ich kenne die Geschichte, David«, antwortete sie. »Ich habe sie in Aarons Papieren gefunden. Körpertausch. Eine rein theoretische Sache, wenn man die offizielle Position des Ordens berücksichtigt. Aber bei dir war es ein voller Erfolg.« Die Berührung ihrer Finger jagte mir Schauer über den Rücken bis in die Haarwurzeln.
    »Nach Aarons Tod habe ich die ganze Geschichte gelesen«, fuhr sie fort, während sie ihre Fingerspitzen über das Muster aus tief eingeprägten Linien gleiten ließ. Sie zitierte: »David Talbot ist nicht mehr in seinem eigenen Körper. Beim verunglückten Experimentieren mit Astralprojektionen verdrängte ihn ein geübter Körperdieb aus seinem Körper, so dass er ge zwungen war, sich der jugendlichen Gestalt seines Gegners zu bemächtigen, eines Körpers, der wiederum einer zerschundenen Seele gestohlen worden war, die, soweit wir etwas darüber wissen, ins Jenseits einging.«
    Ich zuckte angesichts des altvertrauten Talamasca-Stils zusammen.
    »Dass ich diese Papiere fand, war nic ht vorgesehen«, sprach sie, während sie immer noch meine Handfläche beäugte. »Aber Aaron starb hier, in New Orleans, und die Papiere fielen zuerst mir in die Hände. Ich besitze sie immer noch, David. Sie sind nicht in den Archiven der Ältesten, und vielleicht werden sie auch nie dorthin gelangen. Ich weiß es noch nicht.« Dass sie es wagte, solche Geheimnisse dem Orden vorzuenthalten, dem sie immer noch ihr Leben geweiht hatte, erstaunte mich. Wann hatte ich je solche Unabhängigkeit bewiesen, außer vielleicht ganz zum Schluss?
    Merricks Augen huschten flink hin und her, während sie meine Handfläche untersuchte. Ihre Daumen drückten sich weich in mein Fleisch. Die Schauer, die mich durchliefen, waren unerträglich verlockend. Am liebsten hätte ich Merrick in die Arme genommen, nicht um von ihr

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