Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Bedauern darüber empfinden, dass ich mich auf diese Freundschaft eingelassen hatte. Aber ich erneuerte meinen Schwur: David Talbot, du wirst diesem Geschöpf nichts antun. Irgendwie wird es Merrick durch diese Geschichte nur besser gehen, sie wird sich durch diese Erfahrung weiterentwickeln, ihre Seele wird den Sieg davontragen, gleichgültig, wie elendig Louis und ich scheiterten.
Dann schaute ich mich genauer in der Suite um, stellte sicher, dass die Blumen, die ich bestellt hatte, auch richtig platziert waren - auf dem Tischchen vor der Couch, auf dem Schreibtisch und dem Schminktisch -, dass im Badezimmer in ausreichender Menge Kosmetika vorhanden waren, dass ein kuscheliger Bademantel und Hausschuhe in dem eingebauten Schrank warteten und dass die Bar mit einem ganzen Bataillon kleiner Flaschen gefüllt war, darunter auch eine mit Merricks geliebtem Rum, die ich beigesteuert hatte. Schließlich küsste ich Merrick, ließ ihr die Zimmerschlüssel auf dem Nachttisch zurück und ging. Ein kurzer Halt an der Rezeption und ein entsprechender Obulus sorgten dafür, dass sie, wie lange sich ihr Aufenthalt im Hotel auch hinzöge, ungestört bleiben und ihr jeder Wunsch erfüllt werden würde.
Ich beschloss, zu Fuß zu unserer Wohnung in der Rue Royale zu gehen. Als ich jedoch gerade die helle und recht geschäftige Lobby verlassen wollte, verspürte ich plötzlich einen leichten Schwindel, und die seltsame Empfindung übermannte mich, dass mich alle Anwesenden ans tarrten - und nicht gerade mit Freundlichkeit.
Ich blieb abrupt stehen und kramte in meinen Taschen, als sei ich auf der Suche nach einer Zigarette. Dabei sah ich mich unauffällig um.
Weder an der Umgebung noch an den Anwesenden wirkte irgendetwas ungewöhnlich. Und doch, als ich ins Freie trat, überfiel mich diese Empfindung aufs Neue - dass die Leute in der Hotelauffahrt mich anstarrten, dass sie meine Maskerade als Sterblicher durchschaut hatten und dass sie wussten, was ich war und was ich Übles vorhaben könnte.
Wieder sah ich mich um. Doch niemand starrte mich finster an. Im Gegenteil - die Pagen lächelten sogar herzlich, als sich unsere Blicke trafen.
Also machte ich mich auf zur Rue Royale. Doch nach wie vor war da diese Empfindung. Es schien mir sogar, dass die Leute mich nicht nur bewusst beobachteten, sondern dass sie zu dem Zweck sogar an den Türen und Fenstern der Läden und Restaurants lauerten. Und das Schwindelgefühl, das mir als Vampir sonst so gut wie fremd war, verstärkte sich noch.
Ich fühlte mich höchst unbehaglich. Ich fragte mich, ob das die Folgen zu großer Vertrautheit mit einer Sterblichen waren, denn nie zuvor hatte ich mich meiner Umwelt derart nackt ausgesetzt gefühlt. Normalerweise konnte ich mich aufgrund meiner bronzefarbenen Haut völlig ungeniert in der Welt der Menschen bewegen. Alle übernatürlichen Eigenschaften wurden durch den dunklen Teint verschleiert, und meine Augen waren schwarz, wenn sie auch zu hell glänzten.
Auf dem ganzen Weg nach Hause schien es mir, als begafften mich alle Leute verstohlen.
Als ich noch etwa drei Blocks von der Wohnung entfernt war, die ich mit Louis und Lestat teilte, blieb ich schließlich stehen und lehnte mich gegen einen eisernen Laternenpfahl, ungefähr so, wie ich es bei Lestat in früheren Nächten gesehen hatte, als er noch umherzustreifen pflegte. Nachdem ich die Passanten für eine Weile näher unter die Lupe genommen hatte, beruhigte ich mich wieder.
Kurz darauf aber erschreckte ich mich derart, dass ich wider besseres Wissen heftig zu zittern begann. Da, in der offenen Tür eines Ladens, stand mit verschränkten Armen Merrick. Sie schaute mich unverwandt und vorwurfsvoll an, und dann verschwand sie.
Natürlich war es nicht wirklich Merrick gewesen, aber die Körperlichkeit der Erscheinung entsetzte mich. Hinter mir bewegte sich ein Schatten. Ich drehte mich argwöhnisch um. Wieder war es Merrick, ganz in Weiß gekleidet, die dort vorbeischritt und mir einen langen düsteren Blick zuwarf. Dann schien die Gestalt mit der Dunkelheit eines Ladeneingangs zu verschmelzen.
Ich war ratlos. Es handelte sich offensichtlich um Hexerei, aber wie konnte sie auf die Sinne eines Vampirs einwirken? Und ich war nicht nur irgendein Vampir, ich war David Talbot, der in seiner Jugend ein Candomble-Priester gewesen war! Nun, auch als Vampir hatte ich schon Geister und Erscheinungen gesehen, ich hatte Erfahrung damit und wusste, welche Streiche sie einem spielen konnten, und
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