Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
Den endgültigen Sitz des Schreins würde nur ich kennen.
Und von einem solch sicheren Ort irgendwo in den Alpen könnte ich ausziehen und in vielen verschiedenen Ortschaften meine Opfer unter der Bevölkerung suchen. Besonders im Land der Franken, wie man sie nannte, waren viele Siedlungen entstanden, und wenn ich wollte, konnte ich mich auch nach Italien wagen, denn inzwischen war mir klar, dass Jene, die bewahrt werden müssen keineswegs meiner täglichen Wachsamkeit oder Betreuung bedurften.
Endlich nahte die letzte Nacht. Die Wagen waren mit den kostbaren Sarkophagen beladen, ich hatte die Sklaven in eine leichte Benommenheit versetzt, ihnen ein paar milde Drohungen zukommen lassen und sie reichlich mit Versprechungen von Wohlleben und Geld bestochen. Die Leibwächter waren auf die Reise eingestimmt, und ich war bereit aufzubrechen.
Ich ging zu Zenobias Haus, wo ich sie bitterlich weinend vorfand.
»Marius, ich will nicht, dass du fortgehst«, erklärte sie. Avicus und Mael waren auch da, sie sahen mich bedrückt an, als wagten sie nicht zu sagen, wie es in ihnen aussah.
»Ich möchte es auch nicht«, gestand ich Zenobia; dann umarmte ich sie voller Herzlichkeit und überschüttete sie mit Küssen, wie in jener Nacht, als ich sie hier gefunden hatte. Ich konnte mich von ihrem weichen, kindlich-fraulichen Körper kaum lösen.
»Ich muss jetzt fort«, sagte ich, »etwas anderes kommt für mich nicht in Frage.«
Endlich trennten wir uns, beide ganz erschöpft vom Weinen und nicht im Mindesten getröstet, und ich wandte mich den beiden anderen zu.
»Ihr werdet euch um sie kümmern«, befahl ich ihnen streng.
»Ja, wir haben vor zusammenzubleiben«, sagte Avicus, »und ich verstehe immer noch nicht, warum du uns verlassen willst.« Als ich Avicus ansah, quoll schmerzliche Liebe in mir auf, und ich sagte weich: »Ich weiß, ich habe mich dir gegenüber nicht richtig verhalten. Ich war zu streng, dennoch kann ich nicht bleiben.«
Avicus gab seinen Tränen nach, ohne sich um Maels missbilligende Blicke zu scheren.
»Du hattest gerade erst mit deinen Lektionen für mich begonnen«, sagte er.
»Die Welt ringsum kann dich auch lehren«, antwortete ich ihm, »und die Bücher in diesem Hause. Du kannst… du kannst von denen lernen, die du vielleicht eines Nachts durch Das Blut verwandelst.«
Er nickte. Mehr gab es nicht zu sagen. Der Augenblick, sich abzukehren und zu gehen, schien gekommen, aber ich brachte es nicht über mich. Ich ging in den nebenan liegenden Raum und blieb dort mit gesenktem Kopf stehen, während der vielleicht schlimmste Schmerz meines Lebens in mir tobte. Ich wünschte mir verzweifelt, bei ihnen zu bleiben! Da gab es keine Zweifel. Und all meine Pläne gaben mir in diesem Moment keine Kraft. Ich tastete mit der Hand nach dem Schmerz, der wie Feuer in meinem Leib brannte. Ich konnte nicht sprechen. Ich konnte mich nicht rühren.
Zenobia folgte mir zusammen mit Avicus. Sie schlangen ihre Arme um mich, und dann sagte Avicus: »Ich verstehe nun, dass du fortmusst. Wirklich, ich verstehe es.«
Ich konnte nicht antworten. Ich biss mir in die Zunge, bis Blut kam, und dann wandte ich mich zu ihm um, küsste seine Lippen und ließ das Blut in seinen Mund fließen. Er erbebte unter dem Kuss und umfasste mich fester. Dann küsste ich Zenobia ebenso, die sich an mir festklammerte. Ich hob ihr langes, duftendes Haar an und vergrub mein Gesicht darin, oder besser, ich verhüllte mein Gesicht damit wie mit einem Schleier; der Schmerz raubte mir den Atem.
»Ich liebe euch, beide«, hauchte ich.
Dann suchte ich mir mit gesenktem Kopf, ohne weitere Worte, ohne weitere Gesten, irgendwie meinen Weg aus dem Haus. Eine Stunde später war ich, Konstantinopel im Rücken, unterwegs auf der belebten Straße nach Italien; ich saß auf dem vorderen Wagen, wo ich mich mit dem Hauptmann der Wachen unterhalten konnte, der die Zügel des Gespanns führte.
Ich spielte den Sterblichen, mit Lachen und munteren Reden, während mir das Herz brach, und dieses Spiel spielte ich noch viele lange Nächte.
Ich kann mich nicht erinnern, wie lange die Reise währte, nur, dass wir in zahlreichen Städten Aufenthalt fanden; und die Straßen waren bei weitem nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte. Ich hielt meine Leibwächter immer im Auge und warf mit Gold nur so um mich, um Loyalität zu erkaufen, während wir unermüdlich auf unserem Weg weiterzogen.
Nachdem ich die Alpen erreicht hatte, kostete es mich einige Zeit,
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