Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
beschmutzen, ich hätte im Palast das Laster gesehen, und doch könne ich das Lied des Regens hören.«
Ich nickte. »Und hörst du es noch?«
»Ja«, sagte sie. »Stärker denn je, glaube ich. Obwohl mich das nicht am Leben halten würde, wenn du mich verlässt.«
»Ich werde dir etwas schenken, ehe ich fortgehe«, sagte ich.
»Was denn? Was könnte das sein?« Sie richtete sich auf und schob sich zurück gegen die Polster. »Was könntest du mir schenken, das mir helfen würde?«
»Was denkst du wohl?«, fragte ich sanft. »Mein Blut.« Ich hörte Avicus an der Tür leise stöhnen, aber ich achtete nicht auf ihn. Ich hatte nur Augen für sie.
»Ich bin stark, mein Kleines, sehr stark«, erklärte ich. »Und nachdem du von mir getrunken hast, so lange und so viel du willst, wirst du eine andere sein.«
Sie war verwirrt, und doch lockte sie die Aussicht. Zaghaft hob sie die Hände und legte sie mir auf die Schultern. »Und das soll jetzt gleich geschehen?«
»Ja«, sagte ich. Ich saß unerschütterlich auf dem Bett und ließ mich von ihr umfangen, und als ich spürte, wie ihre Zähne sich in meine Kehle bohrten, seufzte ich tief. »Trink, mein Schatz«, murmelte ich, »trink in tiefen Zügen, und nimm von meinem Blut, so viel du kannst.«
Mein Geist wurde von unzähligen, sich überlagernden Bildern des Kaiserpalastes überflutet – goldene Räume, Festmähler, Musik und Gaukler, die Stadt im Sonnenschein mit ihren wild durchs Hippodrom donnernden Pferdewagen, wo das kreischende Volk applaudierte, der Kaiser, der sich in der Staatsloge seinen Verehrern zeigte, die endlos in die Hagia Sophia strömende Prozession, Kerzen, Weihrauch und wieder glanzvolle Räume, nun unter diesem Dach hier.
Ich wurde schwach, fühlte mich krank. Aber es war mir gleich. Wichtig war nur, dass sie trank, bis sie genug hatte. Endlich sank sie zurück in die Kissen, und ich schaute auf sie nieder und sah ihre Wangen, kalkweiß gefärbt durch Das Blut. Sie versuchte unsicher, sich aufzurichten, mich anzusehen, sie starrte umher, als wäre sie erst jetzt zum Bluttrinker geworden, als hätte sie nie zuvor mit den Augen eines Bluttrinkers gesehen. Sie stieg von dem Bett und ging im Zimmer umher, durchmaß es in großem Bogen, ihre Hand in den Stoff ihres Kleides gekrallt; der neue weiße Teint ließ ihr Gesicht glänzen, ihre Augen waren geweitet und schimmerten.
Sie starrte mich an, als hätte sie mich nie zuvor gesehen. Dann blieb sie stehen, lauschte offenbar fernen Geräuschen, die sie früher nicht hatte vernehmen können. Sie legte ihre Hände an die Ohren. Auf ihrem Gesicht mischten sich stumme Ehrfurcht und eine rührende Süße, ja, Süße, und dann musterte sie mich. Ich versuchte, auf die Füße zu kommen, aber ich war zu geschwächt. Avicus wollte mir helfen, doch ich scheuchte ihn mit einer Handbewegung fort.
»Was hast du getan!«, sagte er.
»Du siehst doch, was ich getan habe«, antwortete ich. »Ihr beide, ihr wolltet sie nicht zu euch nehmen. Deshalb habe ich ihr mein Blut gegeben. Ich habe ihr eine Chance gegeben!«
Ich ging zu Zenobia und zwang sie, mich anzusehen.
»Hör mir gut zu!«, sagte ich. »Hat Eudoxia dir erzählt, wie sie früher gelebt hat? Weißt du, dass du nun in der Stadt jagen kannst wie ein Mann?«
Sie starrte mich verständnislos und benommen an, mit Augen, die nun nicht mehr das Gleiche sahen wie zuvor. »Dein Haar wächst innerhalb eines Tages genauso lang und dicht nach wie zuvor, wenn du es dir abschneidest, weißt du das?« Sie schüttelte den Kopf, ihre Augen glitten über mich hinweg, über die unzähligen Bronzelampen im Zimmer und über die Wand- und Bodenmosaiken.
»Hör zu, du entzückendes Mädchen, eigentlich habe ich nicht genug Zeit, dein Lehrer zu sein«, sagte ich. »Ich will dich aber nicht nur mit Kraft, sondern auch mit Wissen gewappnet hier zurücklassen.«
Ich schnitt ihr die Haare ab, und während ich der zu Boden sinkenden Pracht hinterhersah, versicherte ich Zenobia abermals, dass alles nachwachsen würde. Dann nahm ich sie mit mir in die Kammern der anderen Bluttrinker und zog ihr Männerkleidung an. Schließlich befahl ich Mael und Avicus streng, uns allein zu lassen, und nahm Zenobia mit mir in die Stadt, wo ich mich bemühte, ihr zu zeigen, wie ein Mann geht, wie er sich beträgt, wie es in den Schenken zuging – etwas, wovon sie nicht einmal geträumt hatte – und wie sie allein auf sich gestellt jagen könnte. Während dieser Unterrichtsstunde fand ich
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