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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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über ihr Leben in der engen Gemeinschaft ihrer Klöster. Welche Geschichten ich über diese Sterblichen erzählen könnte! Denn manchmal hatte ich mein Herz nicht so fest im Griff. Aber jetzt ist nicht die richtige Zeit dafür. Lass mich dir nur gestehen, dass ich Freundschaften schloss, und wenn ich darauf zurückblicke, bete ich zu einem Gott, der mich erhöre, dass ich ebenso guten Trost spendete, wie ich selbst daraus empfing. Wenn ich besonders kühn aufgelegt war, ging ich hinunter nach Italien, bis nach Ravenna, um die Kirchen zu sehen, die mit den gleichen herrlichen Mosaiken ausgeschmückt waren wie die in Konstantinopel. Aber nie wagte ich mich tiefer in das Land meiner Geburt. Ich fürchtete mich zu sehr, die Zerstörungen alles einst Vorhandenen sehen zu müssen.
    Was nun die Neuigkeiten anging, die ich von meinen sterblichen Freunden hörte, so zerrissen sie mir meistens das Herz. Konstantinopel hatte Italien im Stich gelassen, und nur der römische Papst hielt den Invasoren stand. Islamische Araber schienen die ganze Welt erobern zu wollen, bis nach Gallien waren sie vorgedrungen. Dann verstrickte sich Konstantinopel in einen erschreckenden Streit darüber, ob man religiöse Motive bildlich darstellen dürfe, und man verdammte solche Abbildungen schließlich; in den Kirchen wurden Mosaiken und Ikonen gleichermaßen zerstört – ein abscheulicher Feldzug gegen die Kunst, der eine sengende Wunde in meine Seele brannte. Der römische Papst mochte sich dieser Barbarei, dem Himmel sei Dank, nicht anschließen, wandte Ostrom offiziell den Rücken und ging eine Allianz mit den Franken ein. Damit war der Traum vom gemeinsamen Imperium aus Ost und West zu Ende. Es war auch das Ende meines Traums, dass Byzanz die kulturellen Errungenschaften bewahren könnte, denen Rom einst zur Blüte verholfen hatte.
    Aber es bedeutete nicht das Ende der zivilisierten Welt. Das musste selbst ich, der verbitterte römische Patrizier, zugeben. Bald schon erhob sich unter den Franken ein bedeutender Führer, später bekannt als Karl der Große, und sein Triumph bestand vor allem darin, dass er dem Westen Europas Frieden bescherte. In dieser Zeit wurde sein Hof zum Sammelplatz derer, die vorsichtig wieder die Pflege der alten lateinischen Literatur betrieben, ganz so, wie man ein kümmerliches Flämmchen anfacht. Doch im Großen und Ganzen war es die Kirche, die nun die vielfältigen kulturellen Aspekte am Leben hielt, die Teil der römischen Welt gewesen waren, als ich geboren wurde. Welch eine Ironie, dass das Christentum, diese Religion der Aufständischen, geboren aus Märtyrertum zu Zeiten der Pax Romana, nun die alten Schriften bewahrte, die alte Sprache, die alte Dichtkunst, die alte Kunst der Rede.
    Mit den Jahrhunderten wuchs meine Kraft; jede meiner Fähigkeiten verstärkte sich. Während ich in der Gruft bei Der Mutter und Dem Vater lag, konnte ich die Stimmen der Menschen in weit entfernten Städten hören. Ich konnte hören, wenn ein Bluttrinker gelegentlich in der Nähe vorbeistreifte. Ich konnte Gedanken und Gebete hören.
    Und schließlich erwuchs mir die Gabe der Lüfte. Ich musste mich nicht mehr die Hänge zur Gruft emporhangeln. Ich brauchte nur meine Willenskraft einzusetzen, um mich in die Luft zu erheben, und schon stand ich vor den verborgenen Türflügeln zu dem unterirdischen Gang. Es war furchterregend, und doch liebte ich diese Gabe, da sie mich befähigte, noch längere Entfernungen an einem Stück zurücklegen, wenn ich stark genug war – was im Lauf der Zeit aber immer seltener vorkam. Währenddessen waren Burgen und Klöster in diesem Land erbaut worden, das einst kriegerische Barbarenstämme beherbergt hatte. Mit der Gabe der Lüfte konnte ich die hohen Gipfel erreichen, auf denen diese wunderbaren Gebäude errichtet worden waren, und manchmal gelang es mir sogar, in deren Inneres hineinzuschlüpfen. Ich driftete durch die Ewigkeit, ein Spion, der Herzen ausspähte. Blut war mein Lebenselixier, der Tod war mir fremd und schließlich auch die Zeit.
    Manchmal glitt ich auf dem Wind dahin. Immer aber glitt ich durch das Leben anderer. Und in der Gruft hoch oben an dem Berghang hielt ich mich an meine gewohnten Malereien für Jene, die bewahrt werden müssen, nur dass ich für sie nun Opfer darbringende ägyptische Gestalten auf die Wände bannte, und im Schrein bewahrte ich auch die wenigen Bücher auf, die meiner Seele Trost spendeten.
    Oft spionierte ich den Mönchen in den Klöstern nach und

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