Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
nachdem ich viele Male deine Macht gekostet hatte, nicht wahr?« Er hielt inne, dann fuhr er in ruhigem Ton fort: »Warum wähltest du mich für diese Küsse? Und am Ende für die Gabe selbst?«
»Ich liebte dich«, sagte ich ohne weitere Ausflüchte. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich glaube, es steckt mehr dahinter.«
»Nun, dann lass es mich erfahren«, antwortete ich. Er kam näher und schaute auf mich nieder, da ich an meinem Schreibtisch sitzen blieb.
»In mir herrschte Eiseskälte«, sagte er, »und diese Kälte stammt aus einem fernen Land. Und nichts kann sie je vertreiben. Selbst Das Blut konnte mir keine Wärme schenken. Du wusstest davon. Tausendmal hast du versucht, das Eis zum Schmelzen zu bringen und es in Licht zu verwandeln, und nie gelang es dir. Und dann, in jener Nacht, als ich dem Tode nahe war – nein, tatsächlich schon starb –, da zähltest du darauf, dass diese Kälte mir die Kraft gäbe, Das Blut zu ertragen.«
Ich nickte und wandte den Blick ab, aber er legte mir seine Hand auf die Schulter.
»Schau mich an, Herr, bitte«, sagte er. »Stimmt das nicht?« Seine Miene war gelassen.
»Ja«, sagte ich, »es stimmt.«
»Warum scheust du bei dieser Frage so zurück?«, hakte er nach.
»Amadeo«, sagte ich bestimmt, »Das Blut – es ist ein Fluch!«
»Nein«, antwortete er prompt. »Denk nach, ehe du antwortest. Es ist ein Fluch!«
»Nein«, wiederholte er.
»Dann lass die Fragen. Hör auf, mich erzürnen oder verbittern zu wollen. Lass mich dich lehren, was ich kann.« Er hatte seine kleine Schlacht verloren, nun entfernte er sich von mir. Amadeo wirkte wieder wie ein Kind, ein Knabe, obwohl seine siebzehn Jahre als Sterblicher ihn zu mehr gemacht hatten als das. Er kletterte auf das Bett, zog die Beine unter den Körper und saß regungslos in der Höhle aus Seidentaft und rotem Licht.
»Bring mich nach Hause, Herr«, sagte er plötzlich, »bring mich nach Russland, wo ich geboren wurde. Du kannst es, das weiß ich. Du hast die Macht dazu. Du kannst den Ort finden.«
»Warum, Amadeo?«
»Ich muss es sehen, damit ich es vergessen kann. Ich muss Gewissheit haben, dass es so war… wie es war.« Ich dachte lange nach, ehe ich ihm antwortete. »Gut denn. Du wirst mir alles erzählen, woran du dich noch erinnern kannst, und ich werde dich hinbringen. Und dann magst du in die Hände deiner sterblichen Familie an Reichtümern legen, so viel du willst.« Er sagte nichts dazu.
»Aber unsere Geheimnisse musst du vor ihnen verbergen, wie wir sie vor jedermann sonst verbergen.« Er nickte.
»Und danach kehren wir hierher zurück.« Abermals nickte er.
»Und es wird erst nach dem großen Fest sein, für das Bianca die Vorbereitungen treffen will. Wir werden dann die ganze Nacht mit unseren Gästen tanzen. Du wirst immer wieder mit Bianca tanzen. Wir werden alle Kunst daransetzen, dass uns unsere Gäste für Menschen halten. Und ich zähle auf dich mindestens so sehr wie auf Bianca oder Vincenzo. Und das Fest wird ganz Venedig in Ehrfurcht erstarren lassen.«
Amadeo lächelte kaum merklich. Wieder nickte er.
»Nun weißt du, was ich von dir erwarte«, erklärte ich. »Ich möchte, dass du all unseren Jungen ein liebevoller Freund bist. Und dass du Bianca noch öfter besuchst, natürlich nicht, ohne vorher getrunken zu haben, damit deine Haut schön rosig ist. Und dass du ihr nichts, aber auch gar nichts von dem Zauber erzählst, der dich rettete.« Er nickte.
Dann flüsterte er: »Ich dachte…«
»Du dachtest…?«, fragte ich.
»Ich dachte, wenn ich Das Blut hätte, hätte ich alles. Und nun weiß ich, dass das nicht stimmt.«
23
W ie lange wir auch schon existieren mögen, so haben wir doch feste Erinnerungen – Fixpunkte, die selbst die Zeit nicht auslöschen kann. Leiden mag den Blick zurück verzerren, aber selbst das Leid kann manchen Erinnerungen nicht ihre Schönheit, ihren Glanz nehmen. Wie harter Edelstein überdauern sie.
Eine solche Erinnerung war die Nacht, in der Bianca ihr unübertreffliches Fest gab, und ich nenne es mit Recht ihr Fest, denn sie war der kreative Geist, der meinen bloßen Reichtum und die Räume meines Palazzos nutzte, um Unerreichtes zu vollbringen. All unsere Lehrlinge nahmen an den Darbietungen teil, und sogar der bescheidene Vincenzo übernahm eine Rolle. Tatsächlich strömte ganz Venedig an unsere endlose Festtafel und begeisterte sich an Gesang und Tanz, während die Knaben in mehreren Sälen wunderbare lebende Bilder
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