Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
stellten. Wohl in jedem Raum gab es Gesangsdarbietungen oder himmlische kleine Bühnenstückchen. Die Klänge von Laute, Virginal und einer Anzahl anderer Instrumente mischten sich zu wohlklingenden Melodien, die die Gäste erheiterten und entzückten, während die jüngeren der Knaben in königlichen Gewändern umhergingen und aus goldenen Weinkrügen die Becher stets aufs Neue füllten.
Und Amadeo und ich tanzten wirklich ununterbrochen, setzten unsere Schritte gewählt und elegant, wie die Mode es verlangte – man schritt damals nämlich zur Musik –, und hielten die Hände vieler venezianischer Schönheiten nicht minder oft als die unserer geliebten Freundin, deren Genie die ganze Veranstaltung erst erdacht hatte.
Immer wieder zog ich sie aus dem hellen Lichtkreis der Kerzen, um ihr zu sagen, wie sehr ich sie dafür liebte, dass sie ein solches Wunder gewirkt hatte. Und ich bat sie zu versprechen, dass sie das noch häufiger tun werde.
Wie unvergleichlich war doch diese Nacht, in der wir tanzten und zwischen unseren sterblichen Gästen umherschlenderten, die freundliche, trunkene Kommentare zu meinen Gemälden abgaben und hin und wieder fragten, warum ich das eine oder andere Bild gemalt hatte. Wie in früheren Zeiten fühlte ich mich auch jetzt von kritischen Worten nicht gekränkt. Ich fühlte nur die liebevolle Wärme sterblicher Blicke.
Amadeo hielt ich ständig im Auge und sah, dass er überglücklich war, als Bluttrinker all diesen Glanz zu erleben, und außerdem war er köstlich aufgeregt wegen der Theaterstückchen, in denen die Jungen hübsch erdachte Rollen spielten. Er hatte meinen Rat befolgt und sich ihnen wieder liebevoll zugewandt, und nun, im hellen Licht der Kandelaber, bei den lieblichen Klängen der Musik, strahlte er vor Glück und flüsterte mir gelegentlich zu, dass er sich nichts Schöneres als diese Nacht wünschen könnte.
Wir hatten schon früh und weit außerhalb Venedigs unser Mahl genossen und waren nun warm von dem Blut, und unser Blick war geschärft. Im Gefühl unserer Stärke und unseres Glückes gehörte die Nacht nur uns, und auch die herrliche Bianca gehörte uns, uns ganz allein, wie jeder Mann zu wissen schien. Erst als sich der Morgen ankündigte, verabschiedeten sich die Gäste langsam, und ihre Gondeln bildeten vor unserem Portal eine Schlange. Wir mussten uns von den pflichtschuldigen Lebewohls jedoch losreißen und schnell unseren Weg in die Sicherheit des mit Gold ausgekleideten Grabes suchen. Amadeo umarmte mich, ehe wir uns in unsere Särge legten.
»Willst du noch immer die Reise in deine Heimat antreten?«, fragte ich ihn.
»Ja«, sagte er schnell und sah mich traurig an. »Ich wünschte, ich könnte mit Nein antworten. Nach dieser Nacht vor allem wünschte ich mir das.«
Er war niedergeschlagen, was ich nicht gern sah. »Ich bringe dich hin.«
»Aber ich weiß nicht einmal, wie der Ort heißt. Ich kann nicht…«
»Du musst dich deshalb nicht quälen«, sagte ich, »ich weiß es aus deinen Erzählungen. Es ist Kiew, und du wirst bald dort sein.« Ein Ausdruck des Erkennens erhellte sein Gesicht.
»Kiew«, sagte er, und dann wiederholte er den Namen auf Russisch. Jetzt wusste er, dass das seine frühere Heimat war. In der Nacht darauf erzählte ich ihm die Geschichte seiner Geburtsstadt. Kiew war einst eine herrschaftliche Stadt gewesen; die Kathedrale, die man dort baute, sollte die Hagia Sophia in Konstantinopel übertreffen, von wo aus das griechische Christentum Russland erobert und ihm seinen Glauben und seine Kunst aufgepflanzt hatte. Und beides war in diesem wunderbaren Ort zu herrlicher Blüte gelangt.
Aber dann hatten vor einigen Jahrhunderten die Mongolen die Stadt geplündert, unter der Bevölkerung ein Blutbad angerichtet und so Kiews Macht für immer gebrochen, denn nur ein paar zufällige Überlebende hatte es gegeben, darunter auch Mönche, die ganz abgeschieden lebten. Was war von Kiew geblieben? Ein elendes Kaff an den Ufern des Dnjepr, wo immer noch die Kathedrale stand, und die Mönche lebten ihren Glauben in dem berühmten Höhlenkloster.
Still lauschte Amadeo diesen Worten, die Trauer stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Mein ganzes Leben lang sah ich immer wieder solche Zerstörungen«, sagte ich. »Menschen mit hehren Träumen bauen herrliche Städte, dann kommen Reiterhorden aus dem Norden oder Osten und zertrampeln und vernichten die ganze Pracht, und alles ist dahin, was die Menschen geschaffen haben. Furcht und Elend folgen
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