Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
ich ihm erklärte, dass seine Seele in einem solchen Fall die nagenden Schuldgefühle bald schon nicht mehr werde ertragen können, erkannte ich, dass er meinen Belehrungen folgte und lernte, sich vom Blut der Übeltäter zu nähren, ohne sich die Seele von den Visionen verdüstern zu lassen. Auch lernte er mit Eifer, wie man sich in menschlicher Gesellschaft bewegte, und bald schon fühlte er sich gefestigt genug, wieder den Umgang mit den anderen Knaben aufzunehmen. Er wurde sogar schnell ein Experte darin, sie zu täuschen, und obwohl sie spürten, dass Amadeo irgendwie verändert war, mochten sie den Frieden unseres wunderbaren Heimes nicht durch auch nur den kleinsten Zweifel aufs Spiel setzen.
Selbst Riccardo als der älteste meiner Lehrjungen argwöhnte eigentlich nichts, außer dass sein Herr gewissermaßen ein mächtiger Magier war, der das Leben Amadeos durch einen Zauber gerettet hatte.
Aber nun mussten wir uns mit unserer geliebten Bianca befassen, die wir seit jener Nacht, als Amadeo so schrecklich krank gewesen war, nicht mehr gesehen hatten. Ich wusste, dass dies die schwerste Prüfung für Amadeo sein würde.
Was sollte sie von seiner schnellen Genesung halten, und was dachte sie, wenn sie seine schimmernde Haut und das glänzende Haar sah? Und was würde er denken, wenn er ihr in die Augen sah? Es war mir nicht verborgen geblieben, dass er sie heiß verehrt, dass er sie geliebt hatte, wie ja auch ich. Und so mussten wir sie also aufsuchen, hatten es eigentlich schon zu lange aufgeschoben. Kurz entschlossen besuchten wir sie eines Abends, nachdem wir uns vorher entsprechend voll getrunken hatten, damit unsere Körper sich warm anfühlten und aussahen.
Sobald wir ihren Salon betreten hatten, spürte ich Amadeos Anspannung, weil er ihr nicht erzählen durfte, was ihm widerfahren war, und erst in diesem Moment merkte ich wirklich, wie schwer ihm diese Geheimnistuerei fiel und dass er doch, trotz der Kräfte, die ich ihm verliehen hatte, noch jugendlich unerfahren war, ja, sogar ein wenig labil.
Amadeos geistige Verfassung war nämlich ein größerer Grund zur Aufregung als Biancas, die vor allem glücklich zu sein schien, ihn wieder gesund zu sehen.
Sie benahmen sich wie Bruder und Schwester, und natürlich dachte ich an den Eid, den ich ihm abverlangt hatte, und wünschte, ich könnte ihn nun beiseite nehmen, um ihn daran zu erinnern. Aber wir waren in Biancas Salon, mitten unter vielen anderen Gästen, den üblichen dazugehörigen Unterhaltungen und musikalischen Vorträgen.
»Kommt mit in mein Schlafgemach.« Biancas liebliches Gesicht strahlte, als sie das sagte. »Ich bin ja so froh, euch zu sehen. Warum seid ihr nicht schon eher gekommen? Jedermann in Venedig wusste natürlich, dass Amadeo sich erholt hatte und dass Lord Harlech nach England zurückgekehrt war, aber wenn ihr nicht kommen konntet, hättet ihr mir schreiben sollen.«
Ich überschüttete sie förmlich mit Entschuldigungen: Ich war gedankenlos gewesen. Und sicher, ich hätte ein Briefchen schreiben sollen. Nur meine Liebe zu Amadeo war schuld, ich hatte mich um nichts anderes gekümmert.
»Oh, Marius, ich verzeihe dir«, erklärte sie. »Ich würde dir alles vergeben, und sieh doch, Amadeo sieht aus, als wäre er nie krank gewesen.«
Dankbar nahm ich ihre Umarmung hin, aber ich sah ganz gut, wie Amadeo litt, als sie ihn küsste und seine Hand fest umklammerte. Die trennende Kluft zwischen ihnen war ihm unerträglich, aber das musste er durchstehen, und so machte ich keine Anstalten zum Aufbruch.
»Und wie ergeht es dir, meine schöne Pflegerin?«, fragte ich sie. »Immerhin hieltest du Amadeos Lebenslicht am Glimmen, bis ich kommen konnte. Und du und deine Verwandten? Vergnügt ihr euch gut?«
Sie lachte weich. »O ja, meine Verwandten! Einige haben ein sehr unglückliches Ende gefunden. Wenn ich recht verstanden habe, ist der Rat von Venedig sogar der Überzeugung, dass sie ermordet wurden, wahrscheinlich von den Leuten, denen sie große finanzielle Verluste zugefügt hatten. Meine Verwandten wären mit ihren üblen Vorhaben besser nie nach Venedig gekommen. Aber damit habe ich nichts zu tun, wie hier jeder weiß. So viel erfuhr ich von dem einen oder anderen Ratsmitglied. Und ihr werdet es nicht glauben, aber ich bin nun auf Grund dieser Vorfälle reicher als zuvor.« Das wurde mir in dieser Sekunde ebenfalls klar. Die Schuldner ihrer elendigen Verwandten hatten ihr natürlich nach deren Ermordung kostspielige Geschenke
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