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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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der Zerstörung auf dem Fuße. Und nirgends sieht man das deutlicher als in den Trümmern deiner Heimatstadt – Kiew Rus.« Ich merkte, dass er mir lauschte, spürte, dass er weitere Erklärungen wollte.
    »Heute ist unser schönes Italien ein Land, das von solchen Kriegen nicht mehr heimgesucht werden wird, sie bedrohen die Grenzen im Norden und Osten Europas inzwischen nicht mehr. Die Barbaren wurden vor langer Zeit hier sesshaft und gehören heute zur Bevölkerung des Frankenreiches, Britanniens und der deutschen Lande. Die raublustigen Plünderer sind für alle Zeiten zurückgedrängt worden. Endlich hat man überall in Europa wiederentdeckt, wie Menschen einer Stadt ihre Gestalt aufdrücken können. Aber in deiner Heimat? Da gibt es immer noch Elend und bittere Armut. Die fruchtbare Steppe ist nutzlos – Tausende von Meilen nutzloses Land! –, außer für gelegentliche Jäger, die so wagemutig wie dein Vater sind. Das ist das Vermächtnis des Dschingis Khan, dieses Ungeheuers.« Ich hielt inne, ich ereiferte mich zu sehr. »Die Goldene Horde nennen sie das Land, und es liegt brach, eine nutzlose Ebene mit saftigem Gras.«
    Amadeo nickte, er sah das wogende Gras vor sich. Ich erkannte es an dem ernsten Ausdruck seiner Augen.
    »Willst du jetzt immer noch hin?«, drängte ich. »Willst du immer noch zu dem Ort, an dem du so gelitten hast?«
    »Ja«, hauchte er. »Ich hatte eine Mutter, auch wenn ich mich nicht an sie erinnern kann. Und ohne meinen Vater hat sie möglicherweise nichts zum Leben. Er starb damals, an dem Tag, als wir in die Steppe ritten. Bestimmt starb er in dem Pfeilhagel. Ich kann mich an die Pfeile erinnern. Ich muss zu ihr.« Er brach ab, als kämpfte er um seine Erinnerung. Er stöhnte jäh auf, als hätte ihn ein scharfer physischer Schmerz getroffen. »Wie farblos und düster ihre Welt ist!«
    »Ja«, gab ich zu.
    »Lass mich ihnen nur eine kleine Summe…«
    »Mach sie reich, wenn das dein Wunsch ist.« Er schwieg eine ganze Weile, dann gestand er mir etwas, murmelte die Worte, als spräche er nur mit sich selbst: »Ich muss das Kloster sehen, wo ich die Ikonen malte. Ich muss den Ort sehen, wo ich manchmal um die Kraft betete, mich bei lebendigem Leibe einmauern zu lassen. Du weißt, dass das in diesem Kloster so Brauch war?«
    »Wie gut ich das weiß«, antwortete ich, »ich sah es in deinem Geist, als ich dir Das Blut gab. Ich sah dich, wie du die Gänge hinabgingst und denen ein wenig Nahrung reichtest, die hinter den halb aufgetürmten Mauern freiwillig darbten, in der Erwartung, dass Gott sie zu sich nahm. Sie fragten dich ja schon, wann du endlich selbst den Mut dazu hättest, dabei konntest du die herrlichsten Ikonen malen.«
    »Ja«, sagte er.
    »Und dein Vater hasste sie, weil sie dich nicht malen ließen, sondern dich vor allem anderen als Mönch sahen.« Er sah mich an, als hätte er das bis zu diesem Moment nie richtig verstanden, und vielleicht stimmte das ja auch. Und dann kam eine ganz entschiedene Behauptung über seine Lippen: »So ist das nun mal mit Klöstern, und du weißt das, Herr: Nur Gottes Wille zählt.« Der Ausdruck seines Gesichts schreckte mich ein wenig. Sprach er gerade zu seinem Vater oder zu mir?
    Wir brauchten vier Nächte für die Reise nach Kiew. Allein hätte ich es natürlich schneller geschafft, aber ich trug Amadeo, hielt ihn, fest eingehüllt in meinen pelzgefütterten Mantel, dicht an mich gepresst, um ihn so gut wie möglich vor dem Wind zu schützen. Am fünften Abend, bei Sonnenuntergang, erreichten wir die Ruinen der Stadt, die einst Kiew Rus war. Unsere Kleider waren schmutzverschmiert und unsere Pelzumhänge dunkel und unscheinbar, was dazu beitragen würde, dass wir sterblichen Augen nicht auffielen.
    Schnee lag in dicken Schichten auf den Zinnen der verlassenen Festung, bedeckte die Dächer des aus Holz gebauten Prinzenpalastes und die schlichten Holzhäuser, die sich unterhalb der Festung bis zum Dnjepr erstreckten – das war der Ort Podil. Nie habe ich etwas Hoffnungsloseres gesehen. Amadeo war schnell in den Sitz dieses europäischen Regenten eingedrungen, und, zufrieden damit, einen Blick auf den Litauer geworfen zu haben, der dem Khan als Preis für seine Macht Tribut zahlte, wollte er gleich weiter zu dem Kloster. Und schon schlüpfte er hinein, hielt sich mit vampirischem Geschick an die dämmrigen Winkel, und wenn ihn trotzdem jemand vor dem Hintergrund der lehmigen Wände sah, versetzte er ihn in einen Zustand der Verwirrung.

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