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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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verputztem Mauerwerk. Die Länge konnte er nicht ermessen, da er sich endlos weit in die Finsternis ausdehnte. Manche der Bogengänge enthielten Türen im alten kolonialen Stil mit sechs Paneelen, andere gar keine.
    Als er das von dem Gestank und dem Geheul ausgelöste Grauen überwunden hatte, begann Willett, einen Bogengang nach dem anderen zu erkunden. Hinter ihnen fand er Räume mittlerer Größe mit Kreuzgewölbedecken, jeder davon anscheinend für einen bizarren Zweck bestimmt. Die meisten von ihnen verfügten über offene Kamine, deren Abzugsschächte zu erkunden für Ingenieure sicherlich interessant gewesen wäre. Niemals zuvor oder danach hatte Willett solche Instrumente – oder das, was er dafür hielt – gesehen, wie sie hier überall unter den Schichten von Staub und Spinnweben von anderthalb Jahrhunderten lagen, in vielen Fällen offenbar damals durch die Hände der Angreifer zerstört. Die meisten der Kammern schienen bislang von keinem Fuß eines modernen Menschen betreten worden zu sein und gehörten sicher zur frühesten Phase von Joseph Curwens Experimenten. Schließlich stieß Willett auf einen eindeutig jünger wirkenden Raum, oder doch zumindest einen, der in letzter Zeit benutzt worden war. Hier gab es Ölöfen, Bücherregale und Tische, Stühle und Schränkchen, und einen Schreibtisch, auf dem sich uralte, aber auch neuere Papiere auftürmten. Kerzenhalter und Öllampen standen an einigen Stellen bereit, und nachdem Willett ein Päckchen Streichhölzer gefunden hatte, zündete er einige davon an.
    Im helleren Licht schienen diese Räume nichts anderes als das letzte Arbeitszimmer beziehungsweise die Bibliothek von Charles Ward zu beherbergen. Viele der Bücher hatte der Doktor schon zuvor gesehen, und auch ein Großteil des Mobiliars stammte eindeutig aus dem Anwesen in der Prospect Street. Hier und da stand ein Stück, das Willett wohlvertraut war, und diese Vertrautheit wurde so mächtig, dass er den widerlichen Gestank und das Wehklagen fast vergaß, obwohl beides hier deutlicher war als am Fuß der Treppe.
    Seine lang geplante erste Aufgabe bestand darin, alle möglicherweise wichtigen Papiere an sich zu nehmen – vor allem jene unheilvollen Dokumente, die Charles vor langer Zeit hinter dem Gemälde in Olney Court entdeckt hatte. Bei seiner Suche erkannte Willett, welch eine einschüchternde Aufgabe die endgültige Auswertung darstellen würde, denn Schublade um Schublade war gepfropft mit Unterlagen in merkwürdiger Handschrift und voller sonderbarer Symbole; eine gründliche Entzifferung und Beurteilung würde Monate, gar Jahre dauern. Bald fand er ein dickes Briefbündel mit Poststempeln aus Prag und Rakus, deren Handschrift sie eindeutig als Schreiben von Orne und Hutchinson enthüllte. Er steckte sie alle zu dem Packen in seiner Aktentasche, um sie mitzunehmen.
    Kurz darauf entdeckte Willett in einem verschlossenen Mahagonischränkchen, das einst das Haus der Wards geschmückt hatte, die alten Papiere von Curwen. Er erkannte sie aufgrund des kurzen Blickes wieder, den Charles ihm vor so vielen Jahren zögernd gestattet hatte. Der junge Mann hatte sie offensichtlich so aufbewahrt, wie er sie gefunden hatte, da alle Überschriften, an die sich die Handwerker erinnert hatten, vorhanden waren – mit Ausnahme der an Orne und Hutchinson gerichteten Unterlagen und der Geheimschrift und ihres Schlüssels. Willett steckte das gesamte Bündel in die Tasche und durchsuchte die übrigen Schubladen.
    Da Charles’ derzeitiger Zustand im Augenblick das größte Problem darstellte, untersuchte er die vielen offensichtlich aktuelleren Unterlagen sehr sorgfältig. Dabei fiel ihm eine verblüffende Merkwürdigkeit auf: Es waren nur sehr wenige Papiere in Charles’ üblicher Handschrift verfasst. Keines davon war übrigens älter als vor zwei Monaten datiert. Dagegen gab es eine Unmenge von Symbolen und Formeln, historischen Anmerkungen und philosophischen Kommentaren in einer altertümlichen Handschrift, die absolut identisch mit der von Joseph Curwen war, obgleich diese Arbeiten unzweifelhaft aus jüngster Zeit stammten. Offensichtlich hatte für Charles in letzter Zeit eine gewissenhafte Imitation der Schrift des alten Hexenmeisters auf dem Programm gestanden, und er hatte es darin dem Anschein nach zur erstaunlichen Meisterschaft gebracht. Von einer dritten Handschrift, die eventuell von Allen hätte stammen können, fand Willett keine Spur. Wenn dieser Mann tatsächlich die führende Rolle

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