Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Es gab eine Formel zur Beschwörung dieser Gestalten und eine, um sie wieder zu bannen, und diese Formeln waren mittlerweile derart perfektioniert worden, dass man sie mit Erfolg weitergeben konnte. Man musste nur vorsichtig bei den Beschwörungen sein, da die Beschriftungen alter Grabstätten nicht immer zutreffend sind.
Willett und Mr. Ward grauste es, während sie von einer Schlussfolgerung zur nächsten gelangten. Dinge – Präsenzen oder Stimmen irgendeiner Art – konnten sowohl von unbekannten Orten wie auch aus Gräbern herbeigerufen werden, und auch bei diesem Vorgang musste man Vorsicht walten lassen. Joseph Curwen hatte zweifelsohne viele verbotene Dinge erweckt, und was Charles betraf – was sollte man bloß von ihm denken? Welche Mächte »jenseits der Sphären« hatten ihn aus den Tagen des Joseph Curwen erreicht und seinen Verstand vergessenen Dingen zugewandt? Er war in bestimmte Richtungen gelenkt worden, um bestimmte Dinge zu finden, die er dann auch nutzte. Er hatte mit dem entsetzlichen Mann in Prag gesprochen und lange in Transsilvanien bei dem Geschöpf in den Bergen gewohnt. Und er musste irgendwann das Grab von Joseph Curwen entdeckt haben. Jener Artikel aus der Zeitung und das, was seine Mutter in der Nacht hörte, waren zu eindeutig, um ignoriert zu werden. Dann hatte er irgendetwas heraufbeschworen, und es muss seinem Ruf gefolgt sein. Jene gewaltige Stimme am Karfreitag und diese anderen Laute im verriegelten Dachlabor: Wonach klangen sie, so dunkel und dröhnend? Hatte sich hier nicht schon der gefürchtete Fremde Dr. Allen mit seiner gespenstischen Bassstimme angekündigt? Ja, das war es, was Mr. Ward mit wirrem Entsetzen bei seinem einzigen Gespräch mit diesem Menschen – so es denn überhaupt ein Mensch war – am Telefon verspürt hatte.
Welches teuflische Bewusstsein, welche Stimme, welcher morbide Schemen hatte auf Charles Wards geheime Riten hinter verschlossener Tür reagiert? Diese Stimmen, die man hatte streiten hören – »muss es rot halten für drei Monate« –, gütiger Gott! War das nicht kurz vor dem Auftreten der Vampirattacken gewesen? Die Schändung von Ezra Weedens uraltem Grab und die später vernommenen Schreie in Pawtuxet – wessen Verstand hatte diese Rache geplant und Curwens gemiedenen Wohnsitz vorzeitlicher Blasphemien wiederentdeckt? Und dann der Bungalow und der bärtige Fremde, die Gerüchte und die Angst.
Den endgültigen Wahnsinn von Charles vermochten sich weder der Vater noch der Arzt zu erklären, doch sie waren davon überzeugt, dass der Geist Joseph Curwens wieder auf Erden weilte und seinen früheren morbiden Gelüsten nachging. Lag die Besessenheit durch einen Dämon also doch im Bereich des Möglichen? Allen hatte etwas damit zu tun und die Detektive mussten unbedingt mehr über diese Person herausfinden, die durch ihre bloße Existenz eine Bedrohung für das Leben von Charles darstellte.
Da das Vorhandensein von gewaltigen Grabgewölben unter dem Bungalow so gut wie feststand, musste in der Zwischenzeit ein Versuch unternommen werden, sie zu finden. Da sich Willett und Mr. Ward über die skeptische Haltung der Nervenärzte im Klaren waren, entschlossen sie sich bei ihrer letzten Unterredung zu einer gemeinsamen gründlichen Erforschung; sie verabredeten sich für den nächsten Morgen am Bungalow mit bestimmten Werkzeugen und Geräten, die für die Suche und unterirdische Erforschung angemessen waren.
Der Morgen des sechsten April brachte eine klare Dämmerung, und die beiden Männer trafen um zehn Uhr am Bungalow ein. Mr. Ward hatte den Schlüssel dabei und sobald man sich im Innern befand, verschaffte man sich rasch einen Überblick. Am unordentlichen Zustand von Dr. Allens Zimmer war ersichtlich, dass auch die Detektive schon hier gewesen waren. Die beiden Männer hofften, dass sie dabei irgendeinen wertvollen Hinweis entdeckt hatten. Der Schwerpunkt ihrer Suche lag natürlich im Keller, und so stiegen sie ohne weitere Verzögerung nach unten, wobei sie erneut den Rundgang vollzogen, den jeder von ihnen schon einmal zuvor in Gegenwart des verrückten jungen Besitzers erfolglos gemacht hatte. Auf den ersten Blick wirkte alles unergründlich, jeder Zoll des Erdbodens und der Steinmauern erweckte einen so soliden und harmlosen Eindruck, dass man kaum glauben konnte, hier eine klaffende Öffnung zu entdecken. Willett überlegte, dass der ursprüngliche Keller ja ohne Kenntnis der darunterliegenden Katakomben angelegt worden war. Also
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