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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Hier in der großen Säulenhalle war beides viel deutlicher wahrzunehmen als bisher. Beides vermittelte den unklaren Eindruck, von irgendwo tief unten zu rühren, noch tiefer als diese dunkle Unterwelt voller Rätsel.
    Ehe er die dunklen Torbögen nach einer Treppe absuchte, die noch weiter nach unten führte, ließ der Arzt den Lichtstrahl seiner Taschenlampe über die Steinplatten des Bodens gleiten. Er war nur sehr locker gepflastert, und in unregelmäßigen Abständen zeigte sich eine Platte, die mit kleinen Löchern in anscheinend willkürlicher Anordnung versehen war, und an einer Stelle lag eine ziemlich lange Leiter, die achtlos hingeworfen worden war. Eigenartig, dass ein Großteil des furchtbaren Gestanks, der alles durchdrang, von dieser Leiter auszugehen schien. Als Willett langsam um die Leiter schritt, erkannte er plötzlich, dass unmittelbar über den merkwürdig durchlöcherten Platten sowohl der Lärm als auch der Geruch am stärksten zu sein schienen, als handele es sich dabei um plumpe Falltüren, die noch tiefer hinab in irgendein Reich des Grauens führten.
    Er hockte sich neben eine dieser Platten hin, rüttelte daran und bemerkte, dass er sie, wenn auch mit äußerster Mühe, bewegen konnte. Auf sein Rütteln hin wurde das Stöhnen darunter lauter. Mit gewaltiger Beklemmung gelang es ihm, den schweren Stein ganz anzuheben. Ein unbeschreiblicher Gestank wallte ihm nun von unten entgegen, und dem Doktor drehte sich der Kopf, als er die Steinplatte beiseitelegte und das Licht seiner Taschenlampe in das freigelegte Quadrat klaffender Finsternis richtete.
    Sollte er eine Treppe erwartet haben, die in eine tiefe Gruft oder zu einem alles übertreffenden Grauen führte, sah Willett sich enttäuscht. Inmitten des Fäulnisgeruchs und des verlorenen Winselns erkannte er lediglich das aus Ziegeln gemauerte obere Ende eines zylinderförmigen Brunnenschachtes von etwa anderthalb Metern Durchmesser ohne Leiter oder sonstige Möglichkeit zum Abstieg. Als das Licht nach unten fiel, schlug das Gestöhne mit einem Mal in grausiges Geschrei um, das sich wieder mit diesen Geräuschen blinden, erfolglosen Umhertastens und feuchten Planschens mischte.
    Der Doktor erbebte und weigerte sich, sich die Kreatur, die in diesem Abgrund lauerte, auch nur vorzustellen, doch einen Moment später brachte er genug Mut auf, um über den grob gemauerten Rand zu spähen – dazu streckte er sich der Länge nach auf dem Boden aus und hielt die Taschenlampe mit ausgestrecktem Arm nach unten, um zu erkennen, was sich dort befand. Eine Sekunde lang sah er nichts als schleimige, moosüberwucherte Ziegelmauern, die endlos in das fast greifbare Miasma von Finsternis und Fäulnis und erbärmlicher Panik hinabfielen – und dann sah er, dass etwas Dunkles am Grund des engen Schachts, ungefähr sechs bis sieben Meter unter dem Steinboden, auf dem er lag, unbeholfen und panisch auf und ab sprang.
    Die Taschenlampe zitterte in Willetts Hand, doch er wagte noch einen Blick, um zu erkennen, was für ein Lebewesen dort in der Dunkelheit des eigentümlichen Brunnens eingemauert war und das der junge Ward hier dem Hungertod überließ, seit ihn vor über einem Monat die Ärzte von hier fortgebracht hatten. Es war offenkundig nur eines von unzähligen Wesen, die in ähnlichen Schächten gefangen gehalten wurden, deren durchlöcherte Steinabdeckungen den Boden des großen unterirdischen Gewölbes dicht bedeckten. Was für Kreaturen es auch waren, sie konnten sich in ihren engen Gruben nicht hinlegen und mussten in all den entsetzlichen Wochen, seit ihr Meister sie achtlos zurückgelassen hatte, dort gekauert und gewinselt haben, gewartet und kläglich umhergesprungen sein.
    Marinus Bicknell Willett sollte es allerdings bereuen, dass er ein zweites Mal hinabgeschaut hatte, denn er mochte wohl ein Chirurg und ein Veteran des Seziertisches sein, doch seither ist er nicht mehr der Gleiche. Es ist schwer erklärlich, wie ein einziger Blick auf ein greifbares Objekt einen Mann derart erschüttern und verändern kann; wir können nur sagen, dass gewissen Umrissen und Erscheinungen eine symbolische, suggestive Macht innewohnt, die sich auf einen empfindlichen Denker verheerend auswirken und schreckliche Andeutungen über obskure kosmische Verbindungen und unbeschreibliche Wahrheiten jenseits der schützenden Illusionen unserer gewöhnlichen Vorstellungen erwecken können.
    Bei seinem zweiten Blick sah Willett einen derartigen Umriss, eine derartige

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