Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
offenbart hatte. Ich blickte auf die Uhr und erkannte, dass der Sonnenaufgang bevorstand, also riss ich mich zusammen, um dem Sturmwind zu trotzen, der nun in seine Höhlenheimat hinabfegte wie er am Abend zuvor daraus hervorgefegt war. Meine Furcht ließ wieder nach, da ein natürliches Phänomen dazu neigt, Grübeleien über das Unbekannte zu vertreiben.
Immer und immer wahnsinniger regnete der kreischende, heulende Nachtwind in die Tiefen des Erdschoßes hinab. Ich legte mich wieder flach auf den Boden und verkrallte mich vergeblich in den Fels, aus Angst, mit Haut und Haar durch das offene Tor in den phosphoreszierenden Schlund hinuntergefegt zu werden. Eine solches Wüten hatte ich nicht erwartet, und als ich bemerkte, dass mein Körper wirklich auf den Abgrund zurutschte, befielen mich Tausende neue schreckliche Ahnungen.
Die Bösartigkeit des Sturmwinds weckte unnennbare Wahnvorstellungen in mir; nicht zum ersten Mal verglich ich mich erschaudernd mit dem Bildnis des einzigen Menschen in jenem grässlichen Korridor, mit dem Mann, der von der namenlosen Rasse in Stücke gerissen wurde, denn im teuflischen Zerren der tosenden Luftstrudel schien ein rachgieriger Zorn umso wütender zu walten, als er nahezu machtlos war. Ich glaube, zum Schluss schrie ich wie irrsinnig – ich verlor fast den Verstand – ins Heulen der Windgeister. Ich versuchte, gegen den mörderischen, unsichtbaren Luftstrom anzukriechen, doch konnte ich mich noch nicht einmal auf der Stelle halten und wurde langsam und unerbittlich in Richtung der unbekannten Welt gepresst. Schließlich muss ich völlig durchgedreht sein, denn ich faselte wieder und wieder jenen unergründlichen Zweizeiler des wahnsinnigen Arabers Abdul Alhazred, der von der Stadt ohne Namen träumte:
Es ist nicht tot, was ewig liegt,
Und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt.
Nur die grimmen, brütenden Wüstengötter wissen, was wirklich geschah – wie unbeschreiblich ich mich in der Finsternis wehrte und mich wälzte und welcher Engel der Hölle mich ins Leben zurückführte, sodass ich mich immer erinnern werde und im Nachtwind schaudern muss, bis einmal das Vergessen – oder Schlimmeres – mich umfängt. Monströs, unnatürlich, gigantisch war die Begegnung – zu weit jenseits aller menschlichen Begriffe, um geglaubt zu werden, außer in den verfluchten frühen Morgenstunden, wenn der Schlaf nicht kommt.
Ich sagte, dass die Wut des dahinfauchenden Sturms infernalisch war – kakodämonisch – und dass seine Stimmen grässlich waren, voll der aufgestauten Rachgier trostloser Ewigkeiten. Plötzlich schienen diese Stimmen, die offenbar noch immer chaotisch klangen, in der Wahrnehmung meines hämmernden Hirns immer mehr sprachlichen Lauten zu ähneln; und tief im Grab ungezählter, seit Äonen versunkener Altertümer, klaftertief unterhalb der morgendämmernden Menschenwelt, vernahm ich das schaurige Geifern und Knurren fremdzüngiger Bestien.
Als ich mich umdrehte, sah ich klar abgezeichnet gegen den leuchtenden Dunst des Abgrunds, was vor dem düsteren Hintergrund der Korridors nicht sichtbar gewesen war – eine Albtraumhorde heranspringender Teufel; hassverzerrte, grotesk herausgeputzte, halb durchsichtige Teufel einer Rasse, die kein Mensch verwechseln kann – die kriechenden Reptilwesen der Stadt ohne Namen.
Und als der Wind erstarb, wurden die Eingeweide der Erde um mich herum in ghoulische Finsternis getaucht; denn hinter der letzten der Kreaturen schlug die mächtige Messingtür mit einem ohrenbetäubenden Donnern metallischer Musik zu und ihr schallendes Echo dröhnte hinaus in die ferne Welt, um die aufgehende Morgensonne zu grüßen, so wie Memnon sie von den Ufern des Nils aus begrüßt.
Vorwort zu »Die Musik des Erich Zann« (The Music of Erich Zann)
Lovecraft war nie in Paris. Tatsächlich war er überhaupt nie in Europa: Sein schmaler Geldbeutel hat eine solche Reise, die er sich ein Leben lang vergeblich gewünscht hat, unmöglich gemacht. Aber er hat von den Metropolen Europas geträumt, und gelesen, was er darüber finden konnte. Etwa im Dezember 1921 versucht er sich an einer Evokation von Paris (freilich wird der Name der Stadt nicht genannt): ›The Music of Erich Zann‹. Zugleich ist dies seine bemerkenswerteste Geschichte über die Macht der Musik. Lovecraft, der als Junge Geigenstunden genommen hatte, konnte auch etwas Klavier spielen und besaß eine gute Gesangsstimme (Tenor). Als 11-Jähriger spielte er in der Blackstone
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