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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Grauen hin zu gelassener Selbstgefälligkeit, gar zu triumphierender Freude kam so unerwartet, blitzartig und schien so vollständig zu sein! Ich konnte kaum glauben, dass sich die psychische Verfassung des Menschen, der mir noch am Mittwoch die letzte panische Mitteilung geschrieben hatte, innerhalb eines Tages derart wandeln konnte – ganz gleich, welche beruhigenden Enthüllungen dieser Tag auch mit sich gebracht haben mochte. Zwei Unwirklichkeiten schienen hier aufeinanderzustoßen, und dieses Gefühl weckte in mir den Verdacht, jenes ferne Drama voller fantastischer Mächte sei nur ein halluzinatorischer Traum meines eigenen Geistes. Dann dachte ich an die fonografische Aufzeichnung, und meine Verwirrung wuchs ins Unermessliche.
    Der Brief war so anders als alles, was ich erwartet hatte! Als ich den Eindruck, den er auf mich machte, genauer analysierte, erkannte ich zwei klar zu unterscheidende Aspekte der Angelegenheit. Erstens: Wenn ich davon ausging, dass Akeley die ganze Zeit über bei Verstand gewesen war und dies noch immer zutraf, dann war die von ihm behauptete Veränderung der Situation viel zu plötzlich eingetreten und eigentlich unerklärlich. Zweitens: Der Wandel in Akeleys Verhalten, seiner Einstellung und seiner Sprache lag jenseits von allem, was normal oder vorhersehbar erschien. Die gesamte Persönlichkeit dieses Mannes musste eine heimtückische Mutation durchlaufen haben – eine so tief greifende Mutation, dass man die beiden Phasen seines Zustandes kaum miteinander in Einklang bringen konnte, jedenfalls nicht unter der Voraussetzung, dass er in beiden bei vollem Verstand gewesen war. In der Wortwahl, selbst in der Rechtschreibung – in allem lag ein kaum merklicher Unterschied. Und da ich dank meiner akademischen Bildung überaus sensibel für stilistische Feinheiten bin, erkannte ich in seinem Satzrhythmus gravierende Abweichungen. Es musste sich um eine extreme emotionale Veränderung oder Offenbarung handeln, die einen solch radikalen Wandel hervorbringen konnte! Doch andererseits schien der Brief recht typisch für Akeley zu sein. Dieselbe alte Leidenschaft für die Unendlichkeit – dieselbe alte Wissbegierde des Gelehrten. Ich konnte keinen Moment lang, oder doch nicht länger als einen Moment, der Vorstellung Glauben schenken, einem Schwindel oder einer boshaften Fälschung aufgesessen zu sein. Bewies denn nicht die Einladung, sein Angebot, dass ich den Wahrheitsgehalt des Briefes persönlich nachprüfen dürfe, bereits dessen Authentizität?
    In der Nacht von Samstag auf Sonntag legte ich mich nicht schlafen, sondern sann die ganze Zeit über den Rätseln des Briefes nach. Mein Verstand, der in den letzten vier Monaten eine rasche Folge ungeheuerlicher Vorstellungen hatte verkraften müssen, kreiste zwischen Zweifel und Akzeptanz um diese verwirrenden Neuigkeiten, wobei ich die gleichen Phasen wie zuvor durchlief, als ich mich mit den anderen Unglaublichkeiten konfrontiert gesehen hatte. Lange vor Morgengrauen war der Ansturm verwirrender und beunruhigender Gefühle einer brennenden Neugierde gewichen. Ob er nun wahnsinnig oder bei Sinnen, gänzlich verwandelt oder lediglich erleichtert sein mochte – es bestand durchaus die Möglichkeit, dass Akeley bei seinen gefährlichen Untersuchungen neue bemerkenswerte Perspektiven entdeckt hatte, die zugleich die (wirklichen oder eingebildeten) Gefahren beseitigt und neue, schwindelerregende Horizonte kosmischen und übermenschlichen Wissens aufgetan hatten. Meine eigene Sehnsucht nach dem Unbekannten flammte auf, und ich verspürte die krankhafte Faszination dieser Grenzüberschreitung. Die irremachenden und mühseligen Beschränkungen von Raum und Zeit und der Naturgesetze abzuschütteln – mit dem gewaltigen Außen in Kontakt zu treten – den nachtschwarzen und abgründigen Geheimnissen der letzten Dinge und der Unendlichkeit näher zu kommen – all das war es sicherlich wert, Leben, Seelenheil und gesunden Menschenverstand aufs Spiel zu setzen! Und Akeley hatte geschrieben, dass keinerlei Gefahr mehr bestehe; er hatte mich eingeladen, ihn zu besuchen, anstatt mich wie zuvor davon abzuhalten. Ich erbebte bei dem Gedanken daran, was er mir jetzt vielleicht berichten konnte, und war völlig gefesselt von der Vorstellung, mitsamt der schrecklichen Tonaufnahme und dem Stapel Briefe, in denen mir Akeley seine Vermutungen dargelegt hatte, in jenem alten und bis vor Kurzem belagerten Gutshaus bei einem Mann zu sitzen, der mit wirklichen

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