Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Sendboten aus dem All gesprochen hatte.
Also schickte ich Akeley am Sonntagvormittag ein Telegramm, in dem ich ihm mitteilte, dass ich am folgenden Mittwoch, dem 12. September, in Brattleboro einträfe, wenn ihm dieser Zeitpunkt genehm sei. Nur in einer Hinsicht wich ich von seinen Vorschlägen ab – in der Wahl des Zuges. Offen gestanden war mir nicht danach, spät nachts in dieser gespenstischen Gegend von Vermont anzukommen; daher nahm ich nicht den von ihm empfohlenen Zug, sondern rief am Bahnhof an und traf andere Vorkehrungen. Wenn ich früh aufstand und den Zug nach Boston um 8.07 Uhr Standardzeit nahm, konnte ich den Zug nach Greenfield um 9.25 Uhr erwischen; dort käme ich dann um 12.22 Uhr an. Ich hätte sofortigen Anschluss nach Brattleboro, wo ich um 13.08 Uhr eintreffen würde – ein wesentlich angenehmerer Zeitpunkt als zehn Uhr abends, um von Akeley abgeholt zu werden und mit ihm durch die dicht gedrängten geheimnisvollen Berge zu fahren.
Ich erwähnte diese Änderung in meinem Telegramm und war froh, als mein zukünftiger Gastgeber in seiner am Abend folgenden Antwort sein Einverständnis gab. Sein Telegramm lautete wie folgt:
VORKEHRUNGEN ZUFRIEDENSTELLEND. WERDE SIE MITTWOCH 13.08 UHR ABHOLEN. VERGESSEN SIE AUFNAHME, BRIEFE UND FOTOS NICHT. HALTEN SIE REISE GEHEIM. ERWARTEN SIE GROSSE OFFENBARUNGEN.
AKELEY
Diese unverzüglich auf die Absendung meines Telegramms folgende Erwiderung – ein Bote vom Bahnhof in Townshend musste Akeley die Nachricht überbracht haben oder die Telefonleitung war wiederhergestellt – ließ mich alle unterbewussten Zweifel vergessen, die ich noch an der Herkunft des verwirrenden Briefes hegen mochte. Ich war merklich erleichtert; tatsächlich war meine Erleichterung größer, als ich mir zu dem Zeitpunkt erklären konnte, da ich die Zweifel schlicht verdrängt hatte.
In dieser Nacht schlief ich tief und fest, und während der nächsten zwei Tage beschäftigte ich mich eifrig mit den Reisevorbereitungen.
VI
Am Mittwoch reiste ich wie vorgesehen ab, mitsamt einer Reisetasche, die vollgestopft war mit den üblichen notwendigen Dingen und meinen wissenschaftlichen Unterlagen, darunter auch die scheußliche Fonografenaufzeichnung, die Kodak-Abzüge sowie der gesamte Stapel von Akeleys Briefen. Wie gewünscht hatte ich niemandem gesagt, wohin ich fuhr, denn mir war klar, dass diese Angelegenheit größte Verschwiegenheit erforderte, auch wenn sie die allergünstigste Wendung genommen haben mochte. Der Gedanke eines wirklichen geistigen Austausches mit fremden außerirdischen Wesen war schon für meinen geübten und einigermaßen vorbereiteten Verstand herausfordernd genug; wie sollte man sich dann erst die Auswirkungen auf die gewaltige Masse der unwissenden Laien vorstellen? Ich weiß nicht, ob in mir Furcht oder abenteuerlustige Erwartung überwog, als ich in Boston umstieg und die lange Reise in den Westen antrat, in deren Verlauf ich vertraute Gegenden verließ und in weniger bekannte gelangte. Waltham – Concord – Ayer – Fitchburg – Gardner – Athol.
Mein Zug kam mit sieben Minuten Verspätung in Greenfield an, doch der Anschlusszug in Richtung Norden hatte gewartet. Nachdem ich eilig umgestiegen war, verspürte ich eine sonderbare Atemlosigkeit, als die Waggons im Sonnenschein des frühen Nachmittags durch Gebiete ratterten, von denen ich schon viel gelesen, die ich aber noch nie zuvor besucht hatte. Ich wusste, dass dies ein im Ganzen altmodischeres und primitiveres Neuengland war als die industrialisierten, verstädterten Gebiete an der Küste und im Süden, in denen ich mein ganzes Leben zugebracht hatte; ein unverdorbenes, archaisches Neuengland ohne Ausländer und qualmende Fabrikschlote, Werbetafeln und Betonstraßen wie in den Gegenden, in denen die Moderne Einzug gehalten hat. Hier gab es sicher noch die merkwürdigen Überreste beständiger traditioneller Lebensweisen, die so tief Wurzeln geschlagen haben, dass sie mit der Landschaft selbst eins geworden sind – das ungebrochene ländliche Leben, das sonderbare alte Erinnerungen bewahrt und fruchtbaren Boden für düsteren, wundersamen und verschwiegenen Aberglauben bietet.
Dann und wann sah ich den blauen Connecticut River in der Sonne schimmern, und nachdem wir Northfield verlassen hatten, überquerten wir ihn. Grüne rätselhafte Berge rückten bedrohlich näher, und als der Schaffner kam, erfuhr ich, dass ich nun endlich in Vermont war. Er sagte mir, ich solle meine Uhr um eine Stunde
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