Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Geschnatter bezeichnen konnte. Die beiden Laute, welche wiederholt vorkamen, sind mit den Begriffen ›Cthulhu‹ und ›R’lyeh‹ wiedergegeben worden.
Am 23. März, so fuhr das Manuskript fort, erschien Wilcox nicht, und Nachfragen in seiner Unterkunft ergaben, dass er an einem sonderbaren Fieber erkrankt und in sein Elternhaus in der Waterman Street gebracht worden war. Er hatte des Nachts geschrien und mehrere andere Künstler im Gebäude geweckt, und seit diesem Zeitpunkt vegetiere er zwischen Bewusstlosigkeit und Delirium vor sich hin.
Mein Onkel verständigte sogleich die Familie und wachte von da ab streng über den Fall; oft rief er Dr. Tobey, der mit dem Fall betraut war, in seiner Praxis in der Thayer Street an. Des jungen Mannes fieberkranker Geist drehte sich offensichtlich einzig um sonderbare Dinge, und der Arzt erschauderte zuweilen, wenn der Patient davon sprach. Es handelte sich dabei nicht bloß um eine Wiederholung der alten Träume, er sprach vor allem von etwas Gigantischem, »viele Meilen hoch«, das umherschritt oder -trampelte. Zu keinem Zeitpunkt beschrieb er das Objekt näher, doch gelegentlich stieß er panische Worte hervor, die Dr. Tobey wiederholte und die den Professor davon überzeugten, es müsse mit der namenlosen Scheußlichkeit identisch sein, die Wilcox mit seiner Traumskulptur darzustellen versucht hatte. Nach Erwähnung dieses Objektes, so fügte der Arzt hinzu, versinke der junge Mann ausnahmslos in einen lethargischen Zustand. Seine Temperatur sei merkwürdigerweise nicht sonderlich erhöht, doch stelle sein gesamter Zustand sich im Übrigen so dar, als leide er an echtem Fieber und nicht an einer Geistesverwirrung.
Am zweiten April gegen drei Uhr nachmittags verschwand auf einen Schlag jedes Anzeichen von Wilcox’ Krankheit. Er saß aufrecht im Bett, war erstaunt darüber, sich im Elternhaus zu befinden, und hatte keine Ahnung, was seit der Nacht des 22. März im Traum oder in der Wirklichkeit geschehen war. Von seinem Arzt für gesund erklärt, kehrte er drei Tage später in seine Unterkunft zurück. Für Professor Angell bot er von nun an keine Unterstützung mehr; alle Spuren der sonderbaren Träume waren mit seiner Genesung verschwunden, und nachdem mein Onkel eine Woche lang seine nächtlichen und sinnlosen Berichte über völlig gewöhnliche Visionen aufgezeichnet hatte, hörte er damit auf.
Hier schloss der erste Teil des Manuskriptes, doch Verweise auf gewisse der verstreuten Notizen gaben mir weit mehr Stoff zum Nachdenken – in der Tat so viel, dass einzig meine eingefleischte Skepsis, die damals mein Weltbild bestimmte, mein beständiges Misstrauen gegenüber dem Künstler erklären kann. Die fraglichen Notizen waren jene, welche die Träume verschiedener Personen im gleichen Zeitraum behandelten, als der junge Wilcox seine sonderbaren Heimsuchungen erlebte. Mein Onkel, so hat es den Anschein, hatte rasch einen umfangreichen Fragenkatalog an fast alle Freunde gerichtet, die er, ohne unverschämt zu erscheinen, befragen konnte, und bat sie um Berichte über ihre nächtlichen Träume und die Zeitpunkte irgendwelcher bemerkenswerter Visionen in jüngster Vergangenheit. Die Reaktionen auf seine Bitte scheinen unterschiedlich ausgefallen zu sein; doch zumindest muss er mehr Antworten erhalten haben, als ein Mann ohne Hilfe eines Sekretärs hätte bearbeiten können.
Die Originalkorrespondenz hat sich nicht erhalten, doch seine Notizen stellen einen gründlichen und wahrhaft bedeutsamen Überblick dar.
Durchschnittliche Menschen aus Gesellschaft und Handelswesen – Neuenglands traditionelles »Salz der Erde« – gaben einen fast durchweg negativen Bescheid, wenngleich hie und da einzelne Fälle von beunruhigenden, aber gestaltlosen nächtlichen Eindrücken auftauchen, stets zwischen dem 23. März und dem 2. April – also dem Zeitraum des Deliriums des jungen Wilcox. Wissenschaftler waren nur wenig mehr betroffen, wenngleich vier Fälle in vagen Beschreibungen flüchtige Blicke auf merkwürdige Landschaften lieferten, und in einem Fall wird die Furcht vor etwas Abnormem erwähnt.
Die nützlichsten Antworten kamen von Künstlern und Dichtern, und es wäre wohl Panik ausgebrochen, hätten sie Gelegenheit gehabt, ihre Aufzeichnungen zu vergleichen. Da mir die Originalbriefe fehlten, vermutete ich irgendwie, dass der Bearbeiter Suggestivfragen gestellt oder die Korrespondenz editiert hatte, um das bestätigt zu sehen, was er insgeheim zu finden erwartete. Das
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