Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
ist der Grund, warum ich weiterhin Wilcox, der irgendwie von den alten Aufzeichnungen meines Onkels wusste, im Verdacht hatte, den betagten Wissenschaftler betrogen zu haben.
Die Antworten der Ästheten fügten sich zu einer verstörenden Geschichte. Vom 28. Februar bis zum 2. April hatte ein Großteil von ihnen von äußerst bizarren Dingen geträumt, wobei die Intensität der Träume im Zeitraum des Deliriums des Bildhauers viel stärker gewesen sei. Über ein Viertel derer, die überhaupt etwas berichteten, sprachen von Szenen und Halbklängen, nicht unähnlich denen, die Wilcox beschrieben hatte – und einige der Träumer gestanden, heftige Angst empfunden zu haben vor dem riesenhaften namenlosen Ding, das sie letztlich erblickt hatten.
Ein Fall, der in den Aufzeichnungen mit Nachdruck wiedergegeben ist, war sehr traurig. Ein weithin bekannter Architekt mit theosophischen und okkulten Neigungen wurde am gleichen Tag, an dem der junge Wilcox erkrankte, von heftigem Wahnsinn befallen und starb einige Monate darauf, nachdem er unaufhörlich nach Rettung vor einem entflohenen Bewohner der Hölle geschrien hatte. Hätte mein Onkel sich in diesen Fällen auf Namen und nicht nur auf Nummern bezogen, so hätte ich versucht, selbst einige Nachforschungen anzustellen, doch es gelang mir lediglich, einige wenige Personen aufzuspüren. All diese bestätigten die Aufzeichnungen jedoch voll und ganz. Ich habe mich oft gefragt, ob alle Personen, die vom Professor befragt wurden, sich so verwirrt fühlten wie diese Menschen. Es ist gut, dass sie dafür nie eine Erklärung erhalten werden.
Die Zeitungsausschnitte bezogen sich, wie ich bereits andeutete, auf Fälle von Panik, Manie und außergewöhnlichem Verhalten während des fraglichen Zeitraumes. Professor Angell muss ein ganzes Büro voller Mitarbeiter beschäftigt haben, denn die Anzahl der ausgeschnittenen Berichte war gewaltig, und ihre Quellen über den ganzen Erdball verstreut. Hier ein nächtlicher Selbstmord in London, wo ein einsamer Schläfer, nachdem er einen entsetzlichen Schrei ausstößt, aus dem Fenster springt; da ein wirrer Leserbrief an eine Zeitung in Südamerika, in dem ein religiöser Fanatiker aus seinen Visionen ein grässliches Zukunftsbild heraufbeschwört. Ein Meldung aus Kalifornien beschreibt, wie die Mitglieder einer theosophischen Gemeinde weiße Gewänder anlegen, für eine »glorreiche Erfüllung«, die nie kommt, während Artikel aus Indien zwischen den Zeilen ernsthafte Unruhen unter den Eingeborenen gegen Ende März schildern. In Haiti häufen sich die Voodoo-Orgien, und afrikanische Vorposten melden rätselhafte Vorgänge im Busch. Auf den Philippinen stationierte amerikanische Offiziere beobachten gewisse Dschungelstämme, die sich aufrührerisch verhalten, und die New Yorker Polizei muss in der Nacht vom 22. zum 23. März mit hysterischen Levantinern fertig werden.
Auch der Westen Irlands ist voller wilder Gerüchte und Legenden, und ein fantastischer Maler namens Ardois-Bonnot stellt im Pariser Salon im Frühjahr 1926 eine gotteslästerliche Traumlandschaft aus. Die Berichte über Aufstände in Irrenhäusern sind so zahlreich, dass wohl nur ein Wunder die Ärzteschaft davon abgehalten hat, sonderbare Parallelen und verwirrende Schlussfolgerungen zu ziehen.
Ein beklemmender Haufen von Ausschnitten – und heute kann ich mir kaum mehr den abgestumpften Rationalismus erklären, mit dem ich sie beiseitelegte. Doch ich war davon überzeugt, dass der junge Wilcox von den älteren Fällen, die der Professor erwähnt hatte, gewusst haben musste.
II. Der Bericht des Inspektor Legrasse
Die älteren Fälle, die den Albtraum und das Flachrelief des Bildhauers für meinen Onkel so bedeutsam machten, waren Gegenstand der zweiten Hälfte seines langen Manuskriptes. Bereits zuvor, so scheint es, hatte Professor Angell die höllischen Umrisse der namenlosen Scheußlichkeit gesehen, hatte er über den fremden Hieroglyphen gegrübelt und die ominösen Silben gehört, die man nur als ›Cthulhu‹ wiedergeben kann, und all das in einem so aufwühlenden und schrecklichen Zusammenhang, dass es nicht sonderlich verwundert, wie sehr er den jungen Wilcox damit bedrängte, ihm Berichte zu liefern.
Dieses frühere Erlebnis hatte 1908 stattgefunden, siebzehn Jahre zuvor, als die Amerikanische Archäologische Gesellschaft ihr alljährliches Treffen in St. Louis abgehalten hatte. Professor Angell, wie es jemandem von seiner Autorität und Kenntnis zukam, nahm
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