Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
aus Vorlagen etwas völlig Neues machte.
Eine interessante Anregung hat zuerst Herr Carsten Flaake (Dortmund) vor einigen Jahren entdeckt. Die australischen Legenden über Buddai »the gigantic old man who lies asleep for ages underground with his head on his arm, and who will some day awake and eat up the world« sind nicht etwa fiktiv. Dieses Stück Mythologie stammt aus John Dunmore Lang, ›Queensland, Australia; A Highly Eligible Field for Emigration, and the Future Cotton-Field of Great Britain: With a Disquisition on the Origin, Manners, and Customs of the Aborigins‹ (London 1861). Hier heißt es S. 379f.: »There are certain traditions among the aborigins that appear to me to have somewhat of an Asiatic character and aspect, Buddai, or as it is pronounced by the aborigins towards the mountains in the Moreton Bay district, Budjah (quasi Buddha) they regard as the common ancestor of their race, and describe as an old man of great stature, who has been lying asleep for ages, with his head leaning on one arm, and the arm buried deep in the sand. A long time ago Buddai awoke and got up, and the whole country was overflowed with water; and when he awakes and gets up again, he will devour all the black men.« Dieses entspricht in so hohem Maße bis ins Wörtliche hinein dem, was Lovecraft schreibt, dass hier offenkundig eine wirkliche Quelle entdeckt ist. Ich habe diesen Ausschnitt im Original zitiert, um zu zeigen, dass es auch noch nach wie vor möglich ist, Quellen aufzuspüren, die einen Passus schlagartig durchsichtig machen und unser Verständnis auf eine neue Basis stellen. Lovecraft hatte Lang offenbar tatsächlich gelesen und nicht etwa über eine Zwischenquelle rezipiert. Weiteres über Buddai lernen wir (aber das kannte Lovecraft wohl kaum) aus einem deutschen Buch: Hermann Preis, Religionsgeschichte. Geschichte und Entwicklung des religiösen Bewusstseins in seinen einzelnen Erscheinungsformen. Eine Geschichte des Menschengeistes, Leipzig 1888.
Diese Beispiele für Einflüsse auf Lovecraft müssen genügen. Auch in heutiger Lektüre stellt sich ›The Shadow Out of Time‹ als gewaltige Vision einer kosmischen Geschichte dar, in der unsere Menschheit nur ein kleines Kapitel ist, eine tröstliche und erschreckende Vision, wie man will, aber in jedem Fall eine, welche zu reflektieren mehr als nur eine beiläufige ästhetische Tätigkeit ist. Lovecraft gelingt es durch das Medium der erfundenen Geschichte, seine Leserinnen und Leser ahnen zu lassen, dass der Kosmos vielleicht ein noch viel erstaunlicherer Ort ist, als wir ohnehin schon wissen.
Der Schatten aus der Zeit
I
Nach zweiundzwanzig Jahren voller Albträume und Schrecken, in denen mir nur die verzweifelte Überzeugung von einem mythischen Quell gewisser Eindrücke half, bin ich nicht bereit, für die Wahrheit dessen zu bürgen, was ich in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 1935 in Westaustralien zu entdecken glaubte. Ich habe durchaus Anlass zur Hoffnung, dass mein Erlebnis ganz oder teilweise auf einer Sinnestäuschung beruht – für eine solche gab es einige mögliche Ursachen. Und doch war das Ganze von einem derart scheußlichen Realismus geprägt, dass mir diese Hoffnung zuweilen unmöglich erscheint.
Sollte sich das alles wirklich zugetragen haben, dann muss die Menschheit sich an eine Auffassung vom Kosmos und von der eigenen Stellung im hektischen Strudel der Zeit gewöhnen, von der bereits die geringste Andeutung jeden Zuhörer erstarren lässt. Ebenso müssen die Menschen vor einer spezifischen akuten Gefahr auf der Hut sein, die zwar nicht die gesamte Menschheit verschlingen wird, aber selbst wagemutigen Personen ein ungeheuerliches, nicht auszudenkendes Grauen bereiten kann.
Aus diesem Grunde verlange ich auch mit allem Nachdruck, dass man endgültig alle Versuche einstellt, die Überreste eines unbekannten und vorzeitlichen Mauerwerks auszugraben, das ich mit meiner Expedition erforschen wollte.
Vorausgesetzt, dass ich wach und bei klarem Verstande war, dann erlebte ich in jener Nacht etwas, das kein Mensch je zuvor erlebt hatte. Darüber hinaus war es die fürchterliche Bestätigung all dessen, was ich in das Reich der Mythen und Träume zu verweisen versucht hatte. Glücklicherweise gibt es keine Beweise, da ich in meiner Angst das erstaunliche Objekt verloren habe, das – sofern es echt war und auch aus diesem scheußlichen Abgrund stammte – den unwiderlegbaren Beweis erbracht hätte.
Ich war dem Schrecken allein
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