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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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zumal seine Regalfläche durch seine Bibliothek von etwa 2500–3000 Bänden ausgefüllt war. Insofern ist es ein seltener Glücksfall, dass von ›The Shadow Over Innsmouth‹ ein fragmentarischer Entwurf erhalten blieb (mehrere weitere wurden zerstört). Man kann dabei gut beobachten, wie Lovecraft Bausteine des ursprünglichen Konzeptes übernimmt, aber doch noch einmal völlig verändert. Insbesondere hat der Ich-Erzähler aus Ohio im Entwurf einen Namen (Robert Olmstead), den wir im fertigen Text (erzählerisch sehr geschickt, weil sich darin seine Identitätsdiffussion spiegelt) nicht mehr finden. Auch sonst sind die Unterschiede beträchtlich: Lovecrafts Erzählungen sind nicht fertig seinem Kopf entsprungen, sondern das Ergebnis oft langwährender Experimente und Planungen. In seinem technischen Essay ›Notes on Writing Weird Fiction‹ empfiehlt Lovecraft angehenden Autoren, das Handlungsgerüst vor Beginn der Niederschrift zweimal zu fixieren: einmal in chronologischer Reihenfolge und einmal in derjenigen des geplanten Textes.
    Auch in Bezug auf die Topografie von Innsmouth hat sich Lovecraft große Mühe gemacht – so hat er einen Stadtplan gezeichnet, damit die Angaben nicht widersprüchlich werden. Diese absolute Präzision im Visuellen trägt ein nicht geringes Stück zum Erfolg seines Erzählens bei. Andernorts habe ich Lovecrafts Stil als eine Mischung aus Präzision und Suggestion beschrieben: Dieses Rezept trägt auch ›The Shadow Over Innsmouth‹. Aus einem Brief vom 4. Oktober 1935 an Alvin Earl Perry erfahren wir das interessante Detail, dass sich das Ende der »Letztfassung« unserer Novelle für Lovecraft selbst als überraschende Idee ergab und nicht von ihm in dieser Form geplant war. Umso interessanter ist die Ambivalenz und Vielschichtigkeit dieser erstaunlichen Passage.

Der Schatten über Innsmouth
    I
    Im Winter 1927/28 führten Beamte der Regierung der Vereinigten Staaten eine sonderbare und geheime Untersuchung gewisser Zustände in der alten Hafenstadt Innsmouth in Massachusetts durch. Die Öffentlichkeit erfuhr erst im Februar davon, als eine lange Reihe von Razzien und Festnahmen stattfand und bald darauf unter angemessenen Vorsichtsmaßnahmen eine gewaltige Anzahl verfallender, wurmstichiger und vermeintlich leer stehender Häuser im verlassenen Hafenbezirk niedergebrannt und gesprengt wurden. Arglose Seelen taten diesen Vorfall als einen der schwersten Zusammenstöße im wechselhaften Krieg gegen den Alkohol ab.
    Aufmerksamere Nachrichtenleser wunderten sich jedoch über die erstaunliche Zahl der Festnahmen, das außergewöhnlich große Aufgebot an Männern, um diese durchzuführen, und die Geheimnistuerei um die Verwahrung der Gefangenen. Berichte über Verhandlungen oder über ernsthafte Anklagen erschienen nicht; auch sah man danach keinen der Gefangenen in den gewöhnlichen Gefängnissen des Landes. Es gab diffuse Gerüchte über Krankheit und Konzentrationslager, und später hieß es, die Inhaftierten seien auf verschiedene Marine- und Militärgefängnisse verteilt worden, doch nichts Bestätigtes drang je durch. Innsmouth selbst blieb fast entvölkert zurück und die Stadt zeigt erst jetzt Anzeichen einer allmählichen Wiederbelebung.
    Die Fragen vieler liberaler Gruppierungen wurden in langen vertraulichen Gesprächen beantwortet, und ihre Vertreter wurden zu Besichtigungen in einige Lager und Gefängnisse geführt. Danach zeigten diese Organisationen sich überraschend passiv und schwiegen. Mit den Journalisten wurde man nicht so einfach fertig, doch letzten Endes schienen auch sie größtenteils mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Nur eine einzige Zeitung – ein Boulevardblatt, das aufgrund seines reißerischen Stils allseits nur mit Vorsicht genossen wurde – erwähnte ein U-Boot, das im Tiefseegraben gleich hinter dem Teufelsriff Torpedos abgefeuert haben soll. Diese Nachricht, die durch Zufall in einer Matrosenkaschemme aufgeschnappt worden war, schien in der Tat sehr weit hergeholt, liegt doch das niedrige schwarze Riff ganze anderthalb Meilen vor dem Hafen von Innsmouth.
    Bei den Menschen aus der Gegend und in den umliegenden Städten wurde viel gemunkelt, an die Außenwelt drang aber nur sehr wenig durch. Diese Leute redeten seit fast einem Jahrhundert über das sterbende, halb verlassene Innsmouth, und keine Neuigkeit konnte verrückter und scheußlicher sein als das, worüber sie ohnehin schon seit Jahren flüsternde Andeutungen machten. Die Erfahrung hatte

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