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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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Grant heran, und er kam näher zu mir. Unsere Arme berührten sich, und obwohl sich unsere Hände nicht anfassten, hatte ich das Gefühl, als hielte er mich fest und ich ihn. Es war gut, jemanden an seiner Seite zu haben. Es tat gut.
    »Ich kann mich an sie erinnern«, sagte Jack und verbarg noch immer sein Gesicht. »Unser Heer war angerückt, um gegen die Lichtbringer zu kämpfen. Es gab keinen besonderen Anlass, außer den, dass sie uns töten konnten. Sie konnten uns töten und uns von der menschlichen Bevölkerung fernhalten, die wir so dringend brauchten. Deshalb schickten wir eigens gefertigte Männer gegen sie. Angriffswelle um Angriffswelle, mit Männern ohne Herz und ohne Hirn, also mit nichts, woran die Kräfte der Lichtbringer ansetzen konnten. Wir machten das monatelang, sogar jahrelang, so lange, bis diese armen Seelenerzieher zuerst die Leben ihrer Bundesgenossen und
dann die ihres eigenen Volkes verbraucht hatten – so lange, bis niemand mehr übrig war. Schließlich riskierten sie ihr eigenes Leben, richteten es gegen uns und mussten dafür sterben. Ich weiß noch, wie schwarz die Himmel waren und wie tief der Schlamm. Und wie sich ihre Stimmen zu einer Sinfonie verschmolzen, die die Luft brennen ließ. Es war wunderschön und schrecklich zugleich. Wir brachten sie um. Danach raubten wir ihre Kinder.«
    Jack schwankte. »Einige konnte ich retten. Da waren Krankenschwestern und Soldaten. Ich übergab ihnen die Babys und schickte sie ins Labyrinth. Ich verwischte ihre Spuren. Doch dabei wurde ich beobachtet. Wir überwachten uns alle gegenseitig. In einer der letzten Schlachten wurde ein Baby gefangen. Die Botin stammte von ihm ab.«
    Ich beobachtete ihn und lauschte auf all das, was er nicht sagte. »Warst du dafür zuständig, dieses Baby auszuliefern?«
    Schließlich nahm er die Hände vom Gesicht und schaute zu Grant statt zu mir. Seine Augen waren rot gerändert, seine Haut fleckig.
    »Ja«, antwortete er.
    Grant stand ganz ruhig da, dennoch wirkte seine Haltung, als krümmte er sich, und das, obwohl er sich fest auf seinen Gehstock stützte. Sein Blick war dunkel, kalt und abschätzend. Dabei konnte es keine große Überraschung für ihn gewesen sein. Eine abgeschwächte Version davon hatten wir schon einmal gehört. Trotzdem war es ein Thema gewesen, von dem ich mich lieber ferngehalten hatte. Zum Teil auch aus Eigennutz.
    Aber Grant sagte kein Wort. Nicht zu Jack. Er atmete aus und warf mir einen langen, tiefen Blick zu.
    »Wir müssen das Loch im Schleier schließen.«

    Jacks Lippen wurden immer dünner, bis sie nur noch einen schmalen, verärgerten Strich bildeten. »Mein lieber Freund …«
    »Du hast nicht gesagt, dass es unmöglich ist«, unterbrach Grant ihn brüsk. »Uns bleibt keine Wahl. Es sei denn, du willst, dass sich Maxine in so etwas wie eine Schlächterkönigin verwandelt.«
    »Klingt wie ein Bandname«, warf ich ein und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr es mich aufregte, dass er dieses Wort benutzte. »Ich könnte zusammen mit den Jungs eine Band gründen. So was wie Jem and the Holograms , nur besser.«
    Rohw und Aaz ließen gleich ihre Luftgitarren aufheulen. Grant schüttelte den Kopf und rieb sich übers Kinn. »Es ist schon mal gemacht worden, Jack, man kann es also wieder tun. Ihr habt Energie umgewandelt, oder? Daraus muss der Schleier gefertigt sein, sonst hätte ihn die Botin nicht aufreißen können.« Grant lehnte sich nach vorn, konzentriert und angespannt. »Bring mir das bei. Oder bring es ihr bei. Denk an die Botin.«
    »Sogar wenn ich dazu in der Lage wäre«, entgegnete mein Großvater heiser, »und selbst wenn du diese komplizierte Materie begreifen könntest … die Kraft, die du dazu benötigst, müsste einfach gewaltig sein. Gewaltiger, als es sich irgendjemand vorstellen kann.«
    Mit ernstem Gesichtsausdruck presste Grant die Kiefer aufeinander. Dann aber schaute er demonstrativ auf mich. Ich wusste, was er vorhatte, und schüttelte den Kopf.
    »Zu gefährlich«, sagte ich. »Nein. Das wirst du nicht tun.«
    »Welche Alternativen haben wir denn?« Er ergriff meinen Arm, nicht so fest, dass es wehtat, aber doch so, dass ich seine Verzweiflung und seinen Zorn spürte. »Glaubst du, du könntest
eine Armee führen? Glaubst du, du könntest gegen eine Armee antreten? Wenn es das ist, was du vorhast, Maxine, dann werde ich da sein. Aber ich würde lieber einen anderen Ausweg finden.«
    Ein anderer Weg ins Licht , murmelte die Stimme in mir.

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