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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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Tod. Ich erspähte eine faltige, wachsbleiche Hand, die über dem Badewannenrand hing. Das reichte mir. Ich blieb so vor der Tür stehen, dass ich den Spiegel sehen konnte – und Jacks Spiegelbild, wie er auf seinen früheren Körper hinabschaute.
    »Das Leben ist zu kurz«, sagte er. »Die Haut hat mir gefallen.«
    »Ich mochte sie auch«, entgegnete ich und brachte nur ein angestrengtes Flüstern zustande. Dann räusperte ich mich und fügte etwas deutlicher hinzu: »Du hättest sie … unsterblich machen können. So wie du es mit Byron getan hast.«
    Jack seufzte und lehnte sich an das Spülbecken. »Byron war ein Fehler. Häute unsterblich zu machen ist falsch. Weil das ein ganz spezielles Gefängnis ist, mein Schatz. Der Erl-Koenig … hat seine menschlichen Körper wie Hemden gewechselt. Und die, die er behalten wollte, legte er auf Eis, damit sie ihm so ohne Leben nicht wegfaulten. Aber nicht einmal er hat sie unsterblich gemacht. Niemand will bis in alle Ewigkeit immer nur dasselbe haben. Sogar mein eigenes Volk … wechselt.«
    Jack deutete auf die Wanne. »Wenn ich mein Leben ändern wollte, wo sollte ich denn dann mit dieser Haut hin, wenn sie unsterblich wäre? Ich habe ihn schon in der Gebärmutter übernommen. Ich war … er. Ohne mich hätte er keinen Verstand und keinen Willen. Er würde in einem komatösen Zustand verharren. Ein langer Schlaf. Bis in alle Ewigkeit.«
    »Wie Dornröschen«, sagte ich.
    Mein Großvater bückte sich und verschwand aus dem Spiegel.
    »Du hast dich nie zu Byron geäußert. Wie es bei ihm war.«
    »Es gab mildernde Umstände.«
    »Welcher Art?«
    »Der Art, dass der Junge im Sterben lag. Ich rettete ihm das Leben.«
    Hinter mir schnaufte Rohw. Ich warf ihm einen Blick zu und stellte fest, dass mich der kleine Dämon mit zusammengekniffenen Augen beobachtete.
    »Als ich ihn fand, lebte er in einem Pappkarton, alter Wolf«, sagte ich. »Er hat Angst vor Männern. Ich glaube, er hat immer wieder kleine Dinger gedreht, um sich durchzuschlagen. In meinen Augen sieht das so aus, als wäre seine unsterbliche Existenz – an die er sich nicht erinnern kann – ziemlich erbärmlich gewesen. An seiner Stelle wäre ich lieber gestorben.«
    »Du warst eben nicht dabei. Und hinterher alles besser wissen, das ist unfair. Ich hab mein Bestes gegeben.«
    »Und bist jedes Mal in Byrons Haut zurückgekrochen, wenn du in einer anderen gestorben warst.«
    Jack sagte keinen Ton. Rohw kratzte sich und behielt das Badezimmer im Auge. Zee hatte sich noch immer nicht bewegt. Ich rückte etwas näher heran und entdeckte wieder die Reflexion meines Großvaters im Spiegel. Er stand reglos da und starrte mit einem Ausdruck unendlicher Traurigkeit auf seine Hände.
    Ich fragte mich, wie vieles in seinem Leben er wohl bereuen mochte. Und wie viel Reue brächte das Fass zum Überlaufen? Wie vieles muss man bedauern, bis man die Last nicht mehr erträgt?
    »Deinesgleichen hat immer Angst, verrückt zu werden«, sagte ich mit sanfter Stimme. »So viel Angst habt ihr davor. Was ist es denn für ein Gefühl, aus nichts als Energie zu bestehen? Denkt man, man fliegt auseinander, wenn man nicht in einem Körper drin ist?«

    Jack antwortete nicht. Ich lehnte mich an die Wand und presste meine Stirn gegen die kühle, glatte Oberfläche.
    »Du hast dir eine Zwischenstation geschaffen. Jemanden, in dessen Haut du die Wartezeit zwischen Tod und Wiedergeburt überbrücken konntest. Das ist Byrons Aufgabe. Und nichts anderes war er in all den Jahrtausenden. Ein Teilzeitleben.«
    Die Antwort, die aus dem Badezimmer kam, war ein langes Schweigen. Doch dann antwortete Jack schließlich mit sehr leiser Stimme: »Das ist nie meine Absicht gewesen. Aber es gibt Dinge, die kann man nicht mehr ungeschehen machen, sosehr man es sich auch wünscht.«
    Zee hüpfte vom Bett und wagte sich dichter an das Badezimmer heran und starrte, wie ich vermutete, auf die Leiche in der Wanne.
    »Ich erinnere mich«, schnarrte Zee und rieb sich den Kopf. »Ich habe getötet.«
    Traurig senkte ich den Kopf. Jack war zwar nicht mehr zu sehen, aber ich hörte seine Stimme.
    »Das war vorauszusehen«, sagte er sanft. »Du wolltest sie vor mir beschützen.«
    »Das hat uns die alte Mutter so beigebracht«, sagte der kleine Dämon und lehnte sich schwer gegen meine Beine. Ich streichelte seinen Kopf.
    »Beschützt die, die guten Herzens sind.«
    »Weil es das Herz ist, das regiert«, murmelte Jack.
    Ich hörte Geräusche zerreißender

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