Chroniken der Jägerin 3
Pfade, die wir nie zuvor beschritten haben .
Am liebsten hätte ich mir selbst mit der Faust ins Gesicht geschlagen, um die Stimme in meinem Kopf zum Schweigen zu bringen. Doch stattdessen öffnete ich die Augen und stellte fest, dass mich Grant mit grimmigem Gesichtsausdruck beobachtete.
»Wir müssen uns entscheiden«, sagte er schließlich ganz ruhig. »Früher oder später. Entscheide dich.«
»Nein«, sagte Jack.
Ich presste die Hand auf meine Brust und spürte das Gewicht darin. Den Strudel. »Du bekommst, was du brauchst, Grant. Und selbst wenn es nicht ausreicht, hast du immer noch recht. Wir müssen es versuchen.«
Jack verschränkte die Finger und rang die Hände. »Das ist aber riskant.«
Grant legte seine Hand auf meine Schulter. »Ich werde mein Glück mit Maxine riskieren.«
Mein Großvater kniff sich in die Nasenwurzel. »Na schön. Aber bevor wir loslegen können, brauche ich noch etwas.«
»Was immer du willst«, sagte ich.
»Einen meiner Knochen«, entgegnete Jack.
Hinaus aus der Leere in ein Zimmer, das in gelbes Lampenlicht getaucht war. Der Duft von Kaffee und Schokokeksen, der Glanz des Holzparketts und Tausende von Büchern, die die
Wände meines Apartments säumten. Das Klavier, das Motorrad. Die türkischen Teppiche, die hier und da herumlagen, zwischen Teddybären, Messern und leeren M&Ms-Tüten.
Die Welt war noch nicht untergegangen. Und es gab mich immer noch.
Genauso wie mein Zuhause. Und wie die Leute, die ich liebte.
Ich suchte mein Vergnügen, wo ich es fand.
Jacks alter Körper war verschwunden. Rex schrubbte auf allen vieren den Boden. Mary saß auf der Arbeitsfläche in der Küche, trug immer noch meine Sachen und hielt die beiden Schlachtermesser in ihren Händen. Es roch nach Wäsche.
Es überraschte mich, den Zombie da vorzufinden. Auf ihn und seine wild flackernde Aura war ich nicht vorbereitet gewesen. An den Rändern ausgefranst flatterte sie, als versuchten tausend kleine Herzen in die Freiheit zu entweichen. Es sah aus, als litte ein Dämon an Herzkammerflimmern oder stünde am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
Rex richtete sich rasch auf, als wir den Raum betraten. Er sah nur mich an.
Ich spreizte die Finger. »Boo.«
Er entspannte sich nicht. »Du kannst mich mal.«
»Krieg dich wieder ein«, antwortete ich. »Du hast die Sache mit dem Schleier damals miterlebt, oder?«
Rex’ Aura loderte einmal kurz auf und schrumpfte dann wieder zusammen, um seine Menschenhaut zu liebkosen. »Wir haben es alle gespürt. Wir haben sie gespürt.«
»Und trotzdem wischst du hier das Blut vom Boden auf, anstatt die Beine in die Hand zu nehmen?«
Rex machte sich gerade, setzte sich auf seine Fersen und schaute von mir zu Grant hinüber, der dagestanden und uns
beide beobachtet hatte. Mary stellte sich neben ihn und warf wild entschlossene Blicke um sich, während sie die Messer mit einer eleganten Bewegung ihrer Hände so herumwirbelte, dass die Schneiden ein mörderisches Licht versprühten. Sie war zwar keine Lichtbringerin, aber sie hatte diesen als Soldatin gedient. Grants Mutter war sie treu ergeben gewesen. Der Erl-Koenig hatte die alte Frau eine Meuchelmörderin genannt – all das ging mir durch den Kopf, als ich sie jetzt betrachtete.
»Mit euch beiden in der Nähe ist es sicherer«, knurrte Rex und lenkte so meine Aufmerksamkeit erneut auf sich. »Außerdem fing der Leichnam dieses Häuters schon an, das Zimmer hier mit seinem Gestank zu verpesten.«
»Er will einfach nicht zugeben, dass er uns gernhat«, sagte Grant. »Wo ist der Leichnam jetzt?«
»Ich bin ein Dämon. Ich kenn mich mit lebenden Leichen aus.«
Grant fixierte ihn.
»Schon gut. Ich habe ihn in der Badewanne deponiert.«
Grant löste seinen Blick nicht von Rex. »Eigentlich benutzen wir die Badewanne, um zu baden, weißt du?«
»Dann ist es ja gut, dass ihr praktisch verwandt seid.« Rex blickte jetzt zu Jack hinüber. »Ich hoffe, ihr wisst das zu schätzen.«
»Ich nicht«, erwiderte mein Großvater, der über sein getrocknetes Blut hinweg ins Schlafzimmer ging.
Ich folgte ihm und sah zu, wie die Jungs ausschwärmten, sich unters Bett und durch die Schatten wühlten und Spielzeug und Lebensmittel darunter hervorzogen. Dek und Mal jubelten, als sie den lebensgroßen Pappaufsteller von Bon Jovi entdeckten.
Aber Zee saß auf dem Bett, hielt seine Krallen verschränkt
und ließ die Beine nachdenklich baumeln. Er wirkte etwas unsicher.
Jack war schon im Badezimmer. Es roch übel, nach
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