Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
wirkte angespannt. Dann beugte er sich erneut zum Guckloch vor und spähte mit zusammengekniffenen Augen hindurch. »Es geht los.«
Sofort drängten sich auch Magnus und Tessa näher an die Öffnung in der Bücherrückwand, durch die sie beobachten konnten, wie sich die Schiebetüren am Ende des Musiksalons öffneten. Dahinter kam der große, von Kerzen erleuchtete Saal zum Vorschein, aus dem nun die ersten Vampire in den Musikraum strömten und ihre Plätze vor der Bühne einnahmen.
»Es wird Zeit«, sagte Magnus leise und verschloss das Guckloch.
Der Musiksalon war fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Tessa hatte sich bei Magnus untergehakt und sah zu, wie Will sich einen Weg durch die Menge bahnte, auf der Suche nach drei nebeneinander-stehenden freien Stühlen. Dabei hielt er zwar den Kopf gesenkt und den Blick auf den Boden geheftet, aber ...
»Sie starren ihn noch immer an«, raunte Tessa Magnus zu. »Will, meine ich.«
»Selbstverständlich tun sie das«, bestätigte Magnus, dessen Pupillen wie Katzenaugen das Licht reflektierten, während er seinen Blick über den Raum schweifen ließ. »Sieh ihn dir doch einmal an: Das Gesicht eines gefallenen Engels und Augen wie der Nachthimmel der Hölle. Er ist ausgesprochen attraktiv und das mögen Vampire. Übrigens kann auch ich nicht behaupten, dass er mir missfallen würde«, fügte er grinsend hinzu. »Ich habe eine Schwäche für die Kombination von schwarzem Haar und blauen Augen.«
Unwillkürlich griff Tessa sich an den Kopf und rückte Camilles hellblonde Locken zurecht.
Doch Magnus zuckte nur die Achseln. »Niemand ist vollkommen.«
Glücklicherweise blieb Tessa eine Antwort erspart, denn Will hatte drei Sitzplätze gefunden und winkte sie mit seiner schwarz behandschuhten Hand zu sich. Während Tessa sich von Magnus zu ihrem Stuhl führen ließ, versuchte sie, der Art und Weise, in der die Vampire Will musterten, keine Beachtung zu schenken. Es stimmte, dass er sehr anziehend wirkte, aber was interessierte das die Nachtkinder? Für sie war Will doch nur eine Nahrungsquelle, oder?
Mit einer eleganten Bewegung nahm sie zwischen Magnus und Will Platz, wobei ihre Seidentaftröcke raschelten wie Blätter in einer kräftigen Brise. Der Musiksalon war kühl, stellte Tessa erstaunt fest. Wenn sich statt Vampiren derart viele Menschen darin gedrängt und ihn mit ihrer Körperwärme aufgeheizt hätten, würde hier eine andere Temperatur herrschen, überlegte sie. Und als sie die Gänsehaut auf Wills Arm sah, dessen Ärmel beim Griff in die Westentasche leicht hochgerutscht war, fragte sie sich, ob den menschlichen Begleitern der Vampire wohl ständig kalt war.
Plötzlich ging ein Raunen durch den Salon und Tessa riss sich von Wills Anblick los und schaute zur Bühne. Das Licht der Kerzenständer reichte nicht bis in die letzte Ecke des Raums - Teile der »Bühne« blieben im Dunkeln verborgen. Selbst Tessas Vampiraugen vermochten nicht zu unterscheiden, was sich in der Dunkelheit bewegte, bis de Quincey plötzlich aus dem Schatten auftauchte.
Gespannte Stille breitete sich aus. Dann verzog de Quincey das Gesicht zu einem Grinsen - einem irren Grinsen, das seine Fangzähne zum Vorschein brachte und seine Züge veränderte: Er wirkte nun wild und bösartig, wie ein Wolf. Erneut ging ein anerkennendes Raunen durch den Salon, vergleichbar einem menschlichen Publikum, das einem Schauspieler für eine besonders überzeugende Ausstrahlung Hochachtung zollt.
»Guten Abend und willkommen, meine Freunde«, setzte de Quincey an und lächelte Tessa direkt zu, die vor lauter Nervosität nur zurückstarren konnte. »Ihr, die ihr euch heute Abend zu mir gesellt habt, seid stolze Söhne und Töchter der Nachtkinder. Wir beugen uns nicht dem erdrückenden Joch namens Gesetz. Wir verantworten uns nicht gegenüber den Nephilim. Und wir werden auch nicht auf unsere uralten Gebräuche verzichten, nur weil sie es wünschen.«
Die Wirkung, die de Quinceys Rede auf Will ausübte, ließ sich unmöglich übersehen: Er saß reglos da, sein Körper angespannt wie ein Bogen, die Fäuste im Schoß geballt. Nur an seinem Hals pulsierten mehrere hervorgetretene Aderstränge.
»Wir haben einen Gefangenen«, fuhr de Quincey fort. »Das Vergehen, dessen er beschuldigt wird, ist der Verrat an den Nachtkindern.« Sein Blick schweifte über die Menge der gebannt lauschenden Vampire. »Und womit wird solch ein Verbrechen bestraft?«
»Mit dem Tod!«, kreischte eine Frauenstimme - die
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