Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
überwältigenden Umarmung an sich. Einen Augenblick kämpfte Clary dagegen an, weil sie in der Fülle von parfümiertem Fleisch, Samtgewändern und den Quasten von Madame Dorotheas Schal zu ersticken drohte. »Liebe Güte, Mädchen«, sagte die Hexe und schüttelte den Kopf, wobei ihre Ohrringe hin und her flogen wie Windspiele in einem Sturm. »Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, bist du durch mein Portal verschwunden. Wo seid ihr damals gelandet?«
»In Williamsburg«, antwortete Clary, deren Atmung sich langsam wieder beruhigte.
Madame Dorothea zog die Augenbrauen hoch. »Und da sage noch einer, es gäbe keine brauchbaren öffentlichen Verkehrsmittel in Brooklyn.« Damit öffnete sie die Tür ganz und winkte auch die anderen herein.
Madame Dorotheas Wohnung schien sich seit Clarys letztem Besuch nicht verändert zu haben: Die Kristallkugel stand noch an ihrem Platz und auch die Tarotkarten lagen auf dem Tisch. Es juckte Clary in den Fingern, sie sich einfach zu greifen und nachzusehen, was unter ihren so sorgsam bemalten Oberflächen verborgen lag.
Madame Dorothea ließ sich seufzend in einen Sessel sinken und studierte die Schattenjäger mit einem Blick, der so glänzend und leblos wirkte wie die Perlenaugen des ausgestopften Vogels auf ihrem Turban. Duftkerzen brannten in kleinen Schalen auf beiden Seiten des Tisches, doch sie konnten den überwältigenden Gestank, der jeden Zentimeter des Hauses zu durchdringen schien, nicht vertreiben. »Ich nehme einmal an, dass du deine Mutter noch nicht gefunden hast?«, fragte sie.
Clary schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich weiß, wer sie entführt hat.«
Madame Dorotheas Augen zuckten von Clary zu Alec und Isabelle hinüber, die das Plakat mit der Erläuterung der Handlinien betrachteten. Jace, der seine Rolle als Bodyguard äußerst sorglos aufzufassen schien, lehnte lässig an einem Sessel. Offensichtlich beruhigt, dass keine ihrer Besitztümer zerstört wurden, richtete Madame Dorothea ihren Blick wieder auf Clary. »Und wer war es?«
»Valentin«, sagte Clary.
Madame Dorothea seufzte. »So etwas hatte ich befürchtet.« Sie ließ sich wieder in die Kissen zurückfallen. »Weißt du, was er mit ihr vorhat?«
»Ich weiß, dass sie mit ihm verheiratet war …«
»Enttäuschte Liebe«, brummte die Hexe. »Es gibt nichts Schlimmeres.«
Von Jace kam ein leises, fast unhörbares Geräusch – ein Lachen. Madame Dorothea spitzte die Ohren wie eine Katze. »Was ist daran so komisch, mein Junge?«
»Was verstehen Sie schon davon?«, fragte er. »Von Liebe, meine ich.«
Sanft faltete Madame Dorothea ihre weichen blassen Hände im Schoß. »Mehr, als du ahnst«, erwiderte sie. »Ich habe dir doch deine Teeblätter gelesen, Schattenjäger. Hast du dich schon in die falsche Person verliebt?«
»Unglücklicherweise, Hüterin der Zuflucht«, sagte Jace, »gilt meine einzige und wahre Liebe nur mir selbst.«
Madame Dorothea brüllte vor Lachen. »Dann musst du dir zumindest keine Sorgen machen, zurückgewiesen zu werden, Jace Wayland.«
»Nicht unbedingt. Ab und zu gebe ich mir selbst einen Korb, um das Ganze interessanter zu machen.«
Madame Dorothea begann, erneut zu lachen, doch Clary unterbrach sie. »Sicher fragen Sie sich, warum wir hier sind, Madame Dorothea.«
Das Lachen der Hexe ebbte ab und sie wischte sich die Tranen aus den Augen. »Bitte«, sagte sie, »tu dir keinen Zwang an und sprich mich ruhig mit meinem richtigen Titel an, so wie dein Freund. Du darfst mich Hüterin nennen. Bisher hatte ich angenommen«, fuhr sie fort, »dass du mir einen kleinen Höflichkeitsbesuch abstatten wolltest. Habe ich mich da etwa geirrt?«
»Ich habe leider nicht die Zeit für Höflichkeitsbesuche. Ich muss meiner Mutter helfen und dafür brauche ich etwas ganz Bestimmtes.«
»Und worum handelt es sich dabei?«
»Um etwas, das man den Kelch der Engel nennt«, sagte Clary, »und von dem Valentin annimmt, dass meine Mutter ihn versteckt hat. Darum hat er sie auch entführt.«
Madame Dorothea wirkte jetzt vollkommen verblüfft. »Der Engelskelch?«, fragte sie ungläubig. »Der Kelch des Raziel, in dem dieser das Blut der Engel mit dem Blut der Menschen mischte, diese Mixtur einem Mann zu trinken gab und so den ersten Schattenjäger erschuf?«
»Genau um den geht’s«, meinte Jace trocken.
»Warum in aller Welt sollte Valentin glauben, dass sie ihn hat?«, fragte Madame Dorothea. »Ausgerechnet Jocelyn?« Noch ehe Clary antworten konnte, schien ihr eine
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