Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
zwischen ihnen in der Luft hängen.
»Ich kann nur hindurchsehen, wenn ich mich konzentriere«, sagte sie. »Es verursacht irgendwie Kopfschmerzen.«
»Ich wette, das liegt an der Blockade in deinem Kopf. Die Brüder werden sich darum kümmern.«
»Und dann?«
»Then you’ll see the world as it is – infinite. Unendlich«, sagte Jace mit einem trockenen Lächeln.
»Verschone mich mit Blake-Zitaten.«
Sein Lächeln wirkte sofort sehr viel weniger amüsiert. »Ich hätte nicht gedacht, dass du es erkennst. Du machst auf mich nicht den Eindruck, als würdest du viele Gedichte lesen.«
»Jeder kennt dieses Blake-Zitat wegen der Doors.«
Jace schaute sie verständnislos an.
»The Doors. Das war eine Band.«
»Wenn du es sagst.«
»Ich nehme an, du hast in deinem Job nicht viel Zeit, Musik zu hören«, sagte Clary und dachte an Simon, dem Musik alles bedeutete.
Jace zuckte die Achseln. »Vielleicht ab und zu mal den wehklagenden Chor der Verdammten.«
Clary warf ihm einen forschenden Blick zu, um zu sehen, ob er Witze machte, doch sein Gesicht war ausdruckslos.
»Aber du hast gestern im Institut Klavier gespielt. Also musst du doch …«
Die Kutsche sprang erneut hoch. Clary krallte sich an der Kante der Sitzbank fest und schaute aus dem Fenster – sie rollten über das Dach eines Stadtbusses. Aus dieser Perspektive konnte sie die oberen Stockwerke der alten Stadthäuser entlang der Straße sehen, die mit grotesken Fratzen und kunstvollen Ornamenten verziert waren.
»Ich habe nur ein bisschen geklimpert«, sagte Jace, ohne sie anzusehen. »Mein Vater bestand darauf, dass ich ein Instrument erlerne.«
»Klingt streng, dein Vater.«
»Nein, keineswegs«, entgegnete Jace scharf. »Er hat mich verwöhnt. Er hat mir alles beigebracht – Waffentraining, Dämonenlehre, Alchimie, alte Sprachen. Er hat mir alles gegeben, was ich wollte. Pferde, Waffen, Bücher, sogar einen Jagdfalken.«
Aber Waffen und Bücher sind nicht unbedingt das, was sich die meisten Kinder zu Weihnachten wünschen, dachte Clary, als die Kutsche wieder auf die Fahrbahn aufsetzte. »Warum hast du Hodge nicht gesagt, dass du die Männer kanntest, mit denen Luke gesprochen hat? Dass sie diejenigen sind, die deinen Vater getötet haben?«
Jace schaute auf seine Hände. Es waren schlanke und behutsame Hände – die Hände eines Künstlers, nicht die eines Kriegers. Der Ring, der ihr schon vorher aufgefallen war, funkelte an seinem Finger. Sie hatte immer gedacht, ein Junge, der einen Ring trug, müsse etwas Feminines an sich haben, aber das stimmte nicht. Der Ring war massiv und bestand aus geschwärztem Silber, in das ein Muster aus Sternen und der Buchstabe W eingraviert waren. »Wenn ich es Hodge gesagt hätte, wüsste er, dass ich Valentin selbst töten will. Und das würde er niemals zulassen.«
»Du meinst, du willst ihn aus Rache töten?«
»Um der Gerechtigkeit willen«, sagte Jace. »Bisher wusste ich nicht, wer meinen Vater umgebracht hat. Doch jetzt weiß ich es. Das ist meine Chance, der Gerechtigkeit zu dienen.«
Clary verstand zwar nicht, wieso der Tod eines Menschen es rechtfertigte, einen anderen Menschen zu töten, ahnte aber, dass es keinen Sinn hatte, dies auszusprechen. »Aber du wusstest doch, wer ihn getötet hat«, sagte sie. »Es waren diese Männer. Du hast gesagt …«
Da Jace sie nicht anschaute, verstummte sie. Sie fuhren jetzt am Astor Place vorbei und wichen knapp einer violetten Straßenbahn der New York University aus, die sich durch den Verkehr schob. Die Passanten auf den Bürgersteigen sahen aus, als würden sie von der feuchten Hitze erdrückt wie zwischen Glas gepresste Insekten. Mehrere Gruppen obdachloser Kinder hatten sich um den Sockel einer großen Messingstatue versammelt und Pappschilder vor sich aufgestellt, auf denen sie um Geld baten. Clary bemerkte ein ungefähr gleichaltriges Mädchen mit kahl rasiertem Schädel, das sich an einen braunhäutigen Jungen mit Dreadlocks und einem Dutzend Piercings im Gesicht lehnte. Als die Kutsche vorbeifuhr, drehte er den Kopf, als könne er sie sehen, und einen kurzen Moment lang blickte sie in seine Augen. Eines davon war trüb, als habe es keine Pupille.
»Ich war damals zehn«, sagte Jace. Sie wandte sich ihm wieder zu und schaute ihn an. Sein Gesicht war ausdruckslos. Jedes Mal, wenn er von seinem Vater sprach, schien die Farbe aus seinem Gesicht zu weichen. »Wir wohnten in einem Herrenhaus auf dem Land. Mein Vater sagte immer, es sei sicherer
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