Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
Ellbogen auf die Reling. Hier draußen, auf der freien Wasserfläche, war es bitterkalt: Der schneidende Wind fuhr ihm durch die Kleidung und seine Fingerspitzen fühlten sich taub an. Aber vor seinem inneren Auge sah er grüne Hügel und blaues Wasser und die honiggelben Steine des Wayland-Landhauses.
»Im Alten Testament verspricht Satan Adam und Eva ›Ihr werdet sein wie Gott‹, als er sie zur Sünde verführt. Und daraufhin werden sie aus dem Paradies vertrieben«, sagte Jace. Einen Moment lang herrschte Stille, ehe Valentin lachte.
»Genau deshalb brauche ich dich, Jonathan. Du bewahrst mich vor der Sünde des Hochmuts.«
»Es gibt alle möglichen Arten von Sünden.« Jace richtete sich auf und wandte seinem Vater das Gesicht zu. »Aber du hast meine Frage nicht beantwortet, Vater. Wie kannst du es rechtfertigen, Dämonen heraufzubeschwören, dich mit ihnen zu verbünden? Hast du vor, sie gegen den Rat in den Kampf zu schicken?«
»Natürlich habe ich das vor«, erwiderte Valentin ohne das geringste Zögern und ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, ob es vernünftig war, jemandem seine Pläne zu offenbaren, der sie vielleicht an seine Feinde weitergab.
Nichts hätte Jace stärker erschüttern können als die Erkenntnis, dass sein Vater sich seines Sieges absolut sicher war. »Der Rat ist vernünftigen Argumenten nicht zugänglich, er wird sich nur der Gewalt beugen. Ich habe versucht, eine ForsakenArmee aufzustellen, aber die wurde zerschlagen. Mithilfe des Engelskelches könnte ich ein neues Heer von Schattenjägern schaffen, aber das würde Jahre dauern. Und diese Zeit habe ich nicht – haben wir , die Menschheit, nicht. Mit dem Schwert kann ich eine gehorsame Armee von Dämonen um mich versammeln. Sie werden mir als Werkzeuge dienen und alles tun, was ich verlange. Es bleibt ihnen gar keine andere Wahl. Und wenn ich dann mit ihnen fertig bin, werde ich ihnen befehlen, sich selbst zu vernichten – und genau das werden sie dann auch tun.« Seine Stimme klang völlig emotionslos. Jace umklammerte die Reling dermaßen fest, dass seine Finger zu schmerzen begannen. »Du kannst doch nicht jeden Schattenjäger, der sich dir in den Weg stellt, einfach abschlachten. Das ist Mord.«
»Das brauche ich auch nicht. Wenn der Rat die gegen ihn aufgestellte Streitkraft sieht, wird er sich ergeben. Alles andere wäre glatter Selbstmord. Und außerdem befinden sich unter den Mitgliedern des Rates genügend Schattenjäger, die mich unterstützen.« Aus Valentins Stimme sprach nicht die geringste Arroganz, nur eine ruhige Gewissheit. »Wenn die Zeit gekommen ist, werden sie sich zu erkennen geben.« »Ich denke, du unterschätzt den Rat.« Jace versuchte, einen festen Ton anzuschlagen. »Ich glaube nicht, dass du begreifst, wie sehr man dich hasst.«
»Hass ist nichts, wenn es um das nackte Überleben geht.«
Valentins Hand fuhr zu seinem Gürtel, aus dem das matt glänzende Heft des Schwerts herausragte. »Aber du brauchst mir nicht zu glauben … Außerdem wollte ich dir noch etwas zeigen. Hier.«
Er zog das Schwert aus der Scheide und hielt es seinem Sohn entgegen. Jace hatte Mellartach schon zuvor in der Stadt der Stille gesehen, an der Wand oberhalb der Sprechenden Sterne.
Und er hatte das Heft des Schwerts bemerkt, als es aus Valentins Schulterhalfter herausgeragt hatte. Aber noch nie zuvor hatte er es aus der Nähe betrachten können. Das Engelsschwert.
Es war aus dunklem, schwerem Silber geschmiedet und glänzte matt. Das Licht schien darüberzugleiten und durch es hindurchzufallen, als wäre es aus Wasser gefertigt, und in seinem Griff entfaltete sich eine Rose aus strahlendem Licht. Jace musste schlucken; sein Mund war trocken. »Sehr hübsch.«
»Ich möchte, dass du es in die Hand nimmst.« Valentin reichte Jace das Schwert, so wie er es ihm beigebracht hatte – mit dem Heft voran. Das Schwert schimmerte schwarz im Sternenlicht.
Jace zögerte. »Ich weiß nicht recht …«
»Nimm es.« Valentin drückte es ihm in die Hand. In dem Moment, in dem Jace’ Finger sich um den Griff schlossen, blitzte darin ein Lichtstrahl auf, der sich durch die gesamte Klinge bis zur Spitze fortsetzte. Rasch sah Jace zu seinem Vater hinüber, doch Valentins Gesicht blieb ausdruckslos. Ein dumpfer Schmerz breitete sich über Jace’ Arm bis tief in seine Brust aus. Aber nicht das Gewicht der Waffe verursachte diesen Eindruck – tatsächlich war sie erstaunlich
Weitere Kostenlose Bücher