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Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes

Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes

Titel: Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Clare
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von Schattenjägern wie ihm, seine gefallenen Brüder und Schwestern. Von ihnen hatte er nichts zu befürchten. Also warum verspürte er solche Angst? Er ballte die Hände zu Fäusten; seine Nägel gruben sich tief in seine Handflächen. Diese Panik war seiner nicht würdig. Er würde sie in den Griff bekommen. Er würde sie niederschmettern. Er holte tief Luft und füllte seine Lungen mit Sauerstoff, als ein weiterer Schrei ertönte, dieses Mal sehr schrill. Die Luft wich rasselnd aus seiner Brust, als in seiner Nähe plötzlich irgendetwas lautstark krachte. Im nächsten Moment sah er einen Lichtblitz, eine grelle Flamme, die ihm in den Augen wehtat.
    Bruder Jeremiah kam torkelnd in Sicht; seine rechte Hand umklammerte eine brennende Fackel, seine pergamentfarbene Kapuze war nach hinten gerutscht und gab den Blick auf ein Gesicht frei, das in einem Ausdruck namenlosen Entsetzens grotesk verzerrt war. Sein zuvor zugenähter Mund war in einem stummen Schrei weit aufgerissen, die blutigen Fäden der zerfetzten Nähte hingen baumelnd von den aufgeplatzten Lippen. Seine helle Robe war mit Blut befleckt, das im Licht der Fackel schwarz schimmerte. Mit ausgestreckten Händen taumelte er noch ein paar Schritte vorwärts, dann kippte Bruder Jeremiah – zu Jace’ großem Bestürzen – nach vorne und fiel der Länge nach zu Boden. Jace hörte das Splittern von Knochen, als der Körper des Archivars auf den Steinplatten auftraf, und das Zischen der Fackel, die dem Stillen Bruder aus der Hand fiel und über die Steinplatten rollte, bis sie in einer flachen Bodenrinne unmittelbar vor der Zellentür liegen blieb.
    Sofort ging Jace in die Knie und streckte sich, so weit die Handfessel es zuließ, während seine Finger nach der Fackel zu greifen versuchten. Aber sie lag knapp außerhalb seiner Reichweite. Ihr Licht erlosch rasch, doch in ihrem schwindenden Schein konnte er Jeremiahs totes Gesicht sehen, das ihm zugekehrt war. Blut sickerte aus seinem geöffneten Mund, seine schwarzen Zahnstümpfe schimmerten feucht.
    Jace hatte das Gefühl, als würde eine schwere Last auf seine Brust drücken. Die Stillen Brüder öffneten niemals den Mund – sie sprachen nicht, lachten nicht, schrien nicht. Aber das musste das Geräusch gewesen sein, das Jace gehört hatte. Er war sich jetzt ziemlich sicher: Männer hatten geschrien, die zuvor ein halbes Jahrhundert lang keinen Laut geäußert hatten – der Ausdruck eines so markerschütternden Entsetzens, dass es die mächtige Rune der Stille bei Weitem übertraf. Aber wie war das möglich? Und wo waren die anderen Mitglieder der Bruderschaft?
    Jace wollte um Hilfe rufen, doch das Gewicht drückte noch immer zentnerschwer auf seine Brust. Er schien keine Luft mehr zu bekommen. Erneut streckte er sich nach der Fackel und spürte, wie einer der kleinen Knochen in seinem Handgelenk splitterte. Ein heißer Schmerz schoss ihm den Arm hinauf, doch der gebrochene Knochen gab ihm genau den Zentimeter mehr, den er benötigte. Er packte die Fackel und kam rasch wieder auf die Beine. Während die Flamme zu neuem Leben erwachte, hörte er plötzlich ein weiteres Geräusch. Ein dumpfes Geräusch, ein hässliches Schleifen, das ihm die Nackenhaare aufstellte. Mit einer ruckartigen Bewegung stieß er die Fackel vorwärts; seine zitternde Hand schickte wild tanzende Lichter über die Mauern, deren dunkle Nischen und Schatten hell aufleuchteten.
    Doch es gab nichts zu sehen.
    Aber statt eines Gefühls der Erleichterung spürte er, wie seine Panik wuchs. Sein Atem ging nun stoßweise, als wäre er nach einer zu langen Zeit unter Wasser wieder an die Oberfläche zurückgekehrt. Die Angst erschien ihm umso schlimmer, weil sie ihm so fremd war. Was geschah mit ihm? Hatte er sich plötzlich in einen Feigling verwandelt?
    Er riss ein paarmal an der Handschelle, in der Hoffnung, der Schmerz würde seinen Kopf frei machen. Doch das war nicht der Fall. Erneut hörte er das Geräusch, das dumpfe Schleifen, das nun ganz nah war. Und hinter dem Schleifen bemerkte er noch ein anderes Geräusch, ein leises, konstantes Flüstern. Nie zuvor hatte er ein so schreckliches, bösartiges Geräusch gehört. Fast besinnungslos vor Entsetzen taumelte er zurück zur Mauer und hielt die Fackel in seiner heftig zitternden Hand hoch.
    Einen kurzen Moment lang sah er das Verlies wie von Tageslicht erleuchtet: die Zelle, die Gittertür, die Steinplatten und den Leichnam von Jeremiah, der zusammengekauert auf dem Boden lag. Direkt

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