Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Türen und das Hallen hastig eilender Schritte an seine Ohren. Heisere Rufe zerrissen die Nachtstille. Simon presste das Gesicht gegen die Gitterstäbe, während auf der anderen Seite seines Fensters schwere Stiefel vorbeidröhnten und im Laufen Steine aufwarfen: Heerscharen von Schattenjägern stürmten unter lautem Rufen aus der Garnison, hinunter in die Stadt.
»Die Schutzschilde sind zusammengebrochen! Sie arbeiten nicht mehr!«
»Aber wir können die Garnison nicht im Stich lassen!«
»Die Garnison spielt keine Rolle! Unsere Kinder sind da unten!«
Ihre Rufe entfernten sich bereits, wurden immer leiser. Bestürzt stieß Simon sich vom Fenster ab. »Samuel! Die Schutzschilde …«
»Ich weiß. Ich hab’s gehört.« Samuels Stimme drang laut und kräftig durch die Mauer. Er klang nicht im Geringsten verängstigt, sondern resigniert und sogar ein wenig triumphierend, da er recht behalten hatte. »Valentin hat seinen Angriff gestartet, während der Rat tagte. Clever.«
»Aber die Garnison … sie ist doch stark befestigt. Warum bleiben sie nicht einfach hier oben?«
»Du hast sie doch selbst gehört. Weil all ihre Kinder unten in der Stadt sind. Kinder, betagte Eltern … sie können sie nicht einfach im Stich lassen.«
Die Lightwoods. Simon dachte an Jace und dann mit Schrecken an Isabelles kleines blasses Gesicht unter ihrer dunklen Haarmähne, an ihre Entschlossenheit im Kampf, an die vielen X und 0, die sie unter den Brief an ihn gesetzt hatte. »Aber du hast es ihnen doch gesagt… du hast den Ratsmitgliedern gesagt, was passieren würde. Warum haben sie dir nicht geglaubt?«
»Weil die Schutzschilde ihre Religion sind. Nicht an die Macht der Schilde zu glauben, würde bedeuten, dass die Schattenjäger auch nicht daran glaubten, dass sie etwas Besonderes sind … die Auserwählten, die unter dem Schutz des Erzengels stehen. Dann könnten sie auch gleich glauben, dass sie nur ganz gewöhnliche Irdische sind.«
Simon drehte sich wieder zum Gitter, um erneut hinauszuschauen, doch der Qualm war inzwischen dichter geworden und erfüllte die Luft mit einer gräulichen Fahlheit. Die Rufe vor dem Fenster waren verstummt; nur aus der Ferne drangen gedämpfte Schreie an seine gespitzten Ohren. »Ich glaube, die Stadt steht in Flammen.«
»Nein.« Samuels Stimme klang sehr leise. »Ich denke, die Garnison steht in Flammen. Vermutlich Dämonenfeuer. Valentin hat es auf die Garnison abgesehen.«
»Aber…« Simon geriet ins Stottern. »Aber es wird doch irgendjemand kommen und uns hier rausholen, oder? Der Konsul oder… oder Aldertree. Die können uns doch nicht einfach hier unten krepieren lassen.«
»Du bist ein Schattenweltler«, erwiderte Samuel. »Und ich bin ein Verräter. Glaubst du ernsthaft, dass sie irgendetwas anderes tun würden?«
»Isabelle! Isabelle!« Alec hatte ihr die Hände auf die Schultern gelegt und schüttelte sie.
Langsam hob Isabelle den Kopf; das blasse Gesicht ihres Bruders schwebte vor einem dunklen Hintergrund. Hinter seiner rechten Schulter ragte ein geschwungenes Stück Holz hervor: Alec hatte seinen Bogen umgeschnallt, denselben Bogen, mit dem Simon den Dämonenfürsten Abbadon getötet hatte. Isabelle konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr älterer Bruder auf sie zugekommen war; sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, dass sie ihn auf der Straße gesehen hatte. Es schien ihr, als wäre er plötzlich wie ein Geist aus dem Nichts vor ihr aufgetaucht.
»Alec.« Ihre Stimme zitterte und gehorchte ihr nur langsam. »Alec, hör auf. Mir geht’s gut.« Sie befreite sich aus seinem Griff.
»Du hast aber nicht so ausgesehen.« Alec schaute sich rasch um und fluchte leise. »Wir müssen unbedingt von der Straße runter. Wo ist Aline?«
Isabelle blinzelte. In ihrer unmittelbaren Umgebung waren keine Dämonen zu sehen. Auf der anderen Straßenseite kauerte jemand auf den Stufen eines Hauses und kreischte und heulte und stieß schrille Schreie aus. Der Leichnam des alten Mannes lag noch immer auf dem Kopfsteinpflaster und über allem waberte der Gestank von Dämonen. »Aline … einer der Dämonen hat versucht … hat versucht, sie zu …« Isabelle hielt inne und holte tief Luft. Sie war eine Lightwood. Sie würde nicht hysterisch werden, unter keinen Umständen. »Wir haben ihn getötet, aber dann ist Aline fortgerannt. Ich hab noch versucht, ihr zu folgen, aber sie war zu schnell.« Bestürzt schaute sie zu ihrem großen Bruder auf. »Dämonen in der Stadt«,
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