Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Tosen der wütenden Flammen aufgeschnappt. Der Rauch im Korridor war nur ein Vorbote der Hitzewelle gewesen, die ihm nun wie eine massive Wand entgegenschlug. »Simon!«
Das war Clarys Stimme - er würde sie unter Tausenden wiedererkennen. Allmählich fragte er sich, ob ihm sein Gehirn ihre Stimme vielleicht vorgaukelte, eine letzte Erinnerung an den Menschen, den er während seines kurzen Lebens am meisten geliebt hatte, um ihn durch sein Sterben zu begleiten.
»Simon, du Idiot! Ich bin hier drüben! Am Fenster!«
Ruckartig sprang Simon auf die Beine, denn er bezweifelte, dass sein Verstand ihm diese Worte vorgegaukelt hatte. Durch den immer dichter werdenden Qualm sah er, wie sich vor dem Zellenfenster etwas Weißes hin und her bewegte. Als er näher kam, entpuppten sich die weißen Objekte als zwei Hände, die die Gitterstäbe umklammerten. Mit einem Satz sprang er auf die Pritsche und schrie über das Tosen des Feuers: »Clary?«
»Gott sei Dank!« Eine der Hände griff durch das Gitter und drückte seine Schulter. »Wir… wir holen dich hier raus.«
»Und wie?«, fragte Simon, nicht ungerechtfertigterweise, doch im nächsten Moment hörte er ein Rascheln, Clarys Hände verschwanden und an ihrer Stelle tauchten andere Hände auf - größere, zweifellos maskuline Hände, mit vernarbten Knöcheln und langen, dünnen Pianistenfingern.
»Warte.« Jace’ Stimme klang ruhig und selbstsicher, als würden sie sich während einer Party unterhalten statt durch die Gitterstäbe eines lichterloh brennenden Verlieses. »Vielleicht solltest du besser einen Schritt zurücktreten.«
Widerspruchslos folgte Simon der Aufforderung und ging beiseite. Jace’ Hände schlossen sich so fest um die Eisenstäbe, dass seine Fingerknöchel beunruhigend weiß hervortraten. Dann ertönte ein ächzendes Krachen, das Gitter brach als Ganzes aus dem Mauerwerk heraus und stürzte neben der Pritsche auf den Zellenboden. Gesteinsstaub prasselte in einer dichten weißen Wolke auf Simon herab.
Sofort darauf erschien Jace’ Gesicht im leeren Fensterrahmen. »Simon. Komm schon!«, drängte er und hielt ihm die Hände entgegen.
Simon reckte die Arme und bekam Jace’ Finger zu fassen. Dann spürte er, wie er hinaufgehievt wurde, und als er die Fensterkante erreichte, stemmte er sich hoch und schlängelte sich durch die schmale Öffnung wie eine Schlange in einem Tunnel. Eine Sekunde später lag er lang ausgestreckt auf dem feuchten Gras und starrte in einen Kreis besorgter Gesichter, die auf ihn hinabblickten: Jace, Clary und Alec.
»Du siehst echt übel aus, Vampir«, bemerkte Jace. »Was ist mit deinen Händen passiert?«
Simon setzte sich auf. Die Verletzungen an seinen Fingern waren verheilt, aber die Haut war noch immer schwarz an den Stellen, wo er das Gitter umklammert hatte. Doch ehe er etwas erwidern konnte, zog Clary ihn plötzlich an sich und umarmte ihn fest.
»Simon«, flüsterte sie. »Ich kann es noch immer nicht fassen. Ich wusste ja nicht einmal, dass du überhaupt hier bist. Bis letzte Nacht hab ich gedacht, du wärst noch in New York…«
»Na ja, ich wusste ja auch nicht, dass du hier bist«, erwiderte Simon und warf Jace einen Blick über die Schulter zu. »Genau genommen, hat man mir ausdrücklich gesagt, du wärst nicht in Idris.«
»Das habe ich nie gesagt«, stellte Jace richtig. »Ich habe dich lediglich nicht korrigiert, als du eine … eine falsche Vermutung geäußert hast. Na, jedenfalls habe ich dich gerade davor bewahrt, bei lebendigem Leibe zu verbrennen, daher schätze ich mal, dass du nicht das Recht hast, sauer zu sein.«
Bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Simon löste sich von Clary und schaute sich um. Sie befanden sich in einem quadratisch angelegten Garten, der auf zwei Seiten von Festungsmauern umgeben war und an den beiden anderen Seiten von dichten Baumreihen. Zwischen den Bäumen führte ein Kiesweg den Hügel hinunter in die Stadt; der Pfad war gesäumt von Elbenlichtfackeln, von denen jedoch nur wenige brannten und ein spärliches, gedämpftes Licht verströmten. Simon schaute zur Garnison hoch. Aus dieser Perspektive konnte man kaum erkennen, dass in ihrem Inneren ein Brand tobte - zwar verdunkelten schwarze Rauchwolken den Sternenhimmel über der Festung und das Licht, das aus manchen Fenstern fiel, schien unnatürlich hell, doch die Steinmauern hüteten ihr Geheimnis gut.
»Samuel«, stieß Simon plötzlich hervor. »Wir müssen Samuel da rausholen.«
Clary musterte ihn
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