Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Furcht. Sogar Valentin hat sich vor den Schattenweltlern gefürchtet«, fügte sie, ohne nachzudenken, hinzu und erkannte im selben Moment, dass es der Wahrheit entsprach. »Hier geht es um Furcht und Neid.«
Überrascht schaute Simon zu Clary hinunter. »Neid?«
Doch Clary war in Gedanken bereits bei dem Traum, den Ithuriel ihr gezeigt hatte, und Valentins Stimme erklang wieder in ihren Ohren. Ich wollte von ihm den Grund erfahren, das Warum. Warum Raziel uns geschaffen hat, das Geschlecht der Schattenjäger, uns aber nicht die Kräfte verliehen hat, die Schattenweltler besitzen: die Schnelligkeit der Werwölfe, die Unsterblichkeit der Feenwesen, die Zauberkräfte der Hexenmeister oder die Ausdauer der Vampire. Er ließ uns nackt im Angesicht der Höllengeburten zurück, nackt bis auf diese schwarzen Linien auf unserer Haut. Aber warum sollen ihre Kräfte unsere übersteigen? Warum können wir nicht auch das haben, was sie besitzen?
Blind und mit leicht geöffneten Lippen starrte Clary auf die Stadt unter ihr. Wie aus großer Ferne nahm sie wahr, dass Simon ihren Namen rief, aber ihre Gedanken waren weit weg und überschlugen sich förmlich. Der Engel hätte ihr alles Mögliche zeigen können, überlegte Clary, aber aus irgendeinemGrund hatte er beschlossen, ihr genau diese Szenen zu zeigen, diese Erinnerungen.Sie dachte wieder an Valentin, der wütend hervorgestoßen hatte: Allein die Vorstellung, dass wir an alle Schattenwesen gebunden, an diese Kreaturen gefesselt sein sollten…!
Und dann sah sie wieder die Rune vor sich, die Rune aus ihrem Traum, so schlicht wie ein geknüpfter Knoten.
Warum können wir nicht auch das haben, was sie besitzen?
»Gebunden«, murmelte sie vor sich. »Es ist eine Vereinigungsrune! Sie verbindet Gleich und Ungleich.«
»Was?« Simon starrte sie verwirrt an.
Doch Clary rappelte sich bereits auf und klopfte den Dreck von ihrem Umhang. »Ich muss sofort in die Stadt. Wo sind sie?« ‘
»Wo ist wer? Clary …«
»Die Ratsmitglieder. Wo findet ihre Versammlung statt? Wo ist Luke?«
Auch Simon stand nun auf. »In der Halle des Abkommens. Clary …«
Aber Clary hatte sich schon in Bewegung gesetzt und stürmte den gewundenen Weg zur Stadt hinunter. Leise fluchend machte Simon sich daran, ihr zu folgen.
Es heißt, alle Straßen führen zu dieser Halle. Sebastians Worte gingen Clary unaufhörlich durch den Kopf, während sie durch die schmalen Gassen Alicantes rannte. Sie konnte nur hoffen, dass diese Behauptung stimmte, denn sonst würde sie sich in der Stadt rettungslos verirren. Die Gassen wanden sich unüberschaubar durch das Häusermeer und ließen sich in nichtsmit dem übersichtlichen, geraden, gitterartigen Straßennetz Manhattans vergleichen. In Manhattan wusste man immer, wo man sich befand, und alles war ordentlich angelegt und klar nummeriert. Aber das hier war ein Labyrinth!
Hastig durchquerte Clary einen winzigen Innenhof und stürmte dann am Kanal entlang - sie wusste, wenn sie dem Wasserverlauf folgte, würde sie letztendlich zum Platz des Erzengels gelangen. Zu ihrer Überraschung führte der Weg an Amatis’ Haus vorbei und Sekunden später bog Clary keuchend in eine breitere, geschwungene Straße ein, die sie inzwischen gut kannte. Nach hundert Metern öffnete sich die Straße zu dem weiten Platz mit der Engelsstatue, an dessen hinterem Ende sich die weiße Abkommenshalle erhob. Neben der hell schimmernden Statue stand Simon mit verschränkten Armen und musterte sie finster.
»Du hättest auf mich warten können«, stieß er hervor.
Clary beugte sich vor und stützte sich schnaufend auf ihre Knie. »Das … meinst du … nicht ernst«, keuchte sie, »zumal du … noch vor mir… hier angekommen bist.«
»Vampirgeschwindigkeit«, erklärte Simon mit einer gewissen Befriedigung in der Stimme. »Wenn wir wieder in New York sind, sollte ich mich zum Marathon anmelden.«
»Das wäre … Betrug.« Mit einem letzten tiefen Atemzug richtete Clary sich auf und schob sich die verschwitzten Haare aus den Augen. »Komm. Wir müssen in die Halle.«
Im Saal wimmelte es vor Schattenjägern - es waren deutlich mehr Nephilim, als Clary jemals auf einem Fleck gesehen hatte. Ihre erhobenen Stimmen erzeugten ein lautes Dröhnen, wie eine herabstürzende Lawine. Die meisten standen instreitlustigen Gruppen zusammen und diskutierten hitzig, während das Podium verlassen dalag und die Karte von Idris verloren von
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