Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
brachte, wurde Clary abrupt aus ihren Tagträumen gerissen. »Wir sind da«, verkündete er laut.
Clary starrte sprachlos auf die Szenerie: In einer Talsenke vor ihr lag ein riesiger Haufen schwarzer verkohlter Steine - Überreste niedergebrannter Mauern, die nur noch ahnen ließen, dass hier einst ein Haus gestanden hatte. Sie entdeckte die Ruinen eines Kaminzugs, der noch immer in den Himmel aufragte, und ein Stück Außenwand mit einer glaslosen Fensteröffnung in der Mitte. Zwischen den Grundmauern wucherte Unkraut - Grün zwischen Schwarz. »Ich versteh nicht ganz«, sagte sie. »Warum sind wir hierhergekommen?«
»Das weißt du nicht?«, fragte Sebastian. »Hier haben deine Eltern gelebt. Hier wurde dein Bruder geboren. Dies war das Herrenhaus der Familie Fairchild.«
Nicht zum ersten Mal hörte Clary Hodges Stimme in ihrem Kopf. Valentine hat sein Haus angezündet und sich und seine Familie verbrannt, seine Frau und sein Kind. Sein Land ist verkohlt. Noch immer will niemand dort wohnen. Es heißt, es sei verflucht.
Wortlos glitt Clary von Wayfarers Rücken. Sie hörte, wie Sebastian ihren Namen rief, doch sie rannte bereits den flachen Hügel hinunter. Dort, wo einst das Haus gestanden hatte, war das Gelände wieder eben; geschwärzte Steinplatten eines ehemaligen Pfads knirschten unter ihren Füßen. Und zwischen den wuchernden Pflanzen erkannte sie ein paar Stufen, die wenige Meter über dem Boden abrupt endeten.
»Clary …« Sebastian folgte ihr durch das hohe Unkraut, doch sie nahm seine Anwesenheit kaum noch wahr. Langsam drehte sie sich im Kreis, um sich jedes Detail zu merken: Verkohlte, halb abgestorbene Bäume. Die Überreste einer einst schattigen Wiese, die sich über einen flachen Abhang erstreckte. In der Ferne - knapp oberhalb der Baumwipfel - das Dach eines vermutlich benachbarten Gutshofs. Sonnenstrahlen, die sich in den Glasscherben der zerbrochenen Fensterscheibe der letzten verbliebenen Mauer spiegelten. Vorsichtig stieg Clary über einen Sockel schwarzer Steine und trat in die Mitte der Ruinen. Sie erkannte die Umrisse von Räumen, die Konturen von Türschwellen und entdeckte sogar einen versengten, noch fast intakten Schrank, der auf der Seite lag. Helle Porzellanscherben mischten sich mit der schwarzen Erde um ihn herum.
Dies war einst ein richtiges Haus gewesen, bewohnt von lebenden, atmenden Menschen. Ihre Mutter hatte hier gelebt, hatte hier geheiratet, hatte ein Kind zur Welt gebracht. Und dann war Valentin gekommen und hatte all das in Schutt und Asche gelegt, hatte Jocelyn im Glauben gelassen, ihr Sohn sei tot, und sie veranlasst, die Wahrheit über ihre Vergangenheit vor ihrer Tochter zu verbergen … Ein Gefühl durchdringender Trauer überkam Clary. Mehr als nur ein Menschenleben war an diesem Ort vergeudet worden. Als sie die Hand an ihr Gesicht führte, stellte sie beinahe überrascht fest, dass es feucht war: Sie hatte geweint, ohne es zu merken.
»Clary, es tut mir so leid. Ich dachte, du würdest das hier gern sehen wollen.« Sebastian kam auf sie zu; seine Schuhe knirschten auf den Scherben und ließen kleine Aschewolken aufsteigen. Besorgt musterte er sie.
»Ja, das ist richtig. Das wollte ich auch. Danke.« Clary drehte sich zu ihm um.
Inzwischen hatte der Wind aufgefrischt und wehte dem Jungen Strähnen dunkler Haare übers Gesicht. Sebastian schenkte ihr ein wehmütiges Lächeln. »Es muss schwer sein, darüber nachzudenken, was hier alles passiert ist … an Valentin zu denken … an deine Mutter. Sie ist unglaublich mutig gewesen.«
»Ich weiß«, sagte Clary. »Das war sie. Das ist sie noch immer.«
Behutsam berührte Sebastian Clarys Gesicht. »Genau wie du.«
»Sebastian, du weißt doch überhaupt nichts über mich.«
»Das stimmt nicht.« Er hob seine andere Hand und hielt ihr Gesicht nun mit beiden Händen. Seine Berührung war sanft, fast zaghaft. »Ich weiß alles über dich, Clary. Wie du gegen deinen Vater gekämpft hast, um den Kelch der Engel vor ihm zu bewahren; wie du in das vampirverseuchte Hotel eingedrungen bist, um deinen Freund zu retten. Isabelle hat mir viele Dinge erzählt, außerdem habe ich eine Menge Gerüchte gehört. Und seit der ersten Geschichte … seit dem Moment, in dem erstmals dein Name fiel, habe ich dich kennenlernen wollen. Ich wusste gleich, dass du etwas ganz Besonderes sein musstest.«
Clary lachte unsicher. »Ich hoffe, du bist nicht zu enttäuscht.«
»Nein«, stieß er leise hervor und ließ seine
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