Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
Wispern.
Während sie zusah, fiel Jace auf die Knie, die Hände auf den Boden gestützt. Der Anblick versetzte ihr einen Stich ins Herz. Sie selbst war damals fast in Ohnmacht gefallen, als die Stillen Brüder in ihrem Kopf herumgewühlt hatten, aber Jace war doch stärker als sie, oder? Langsam krümmte er sich zusammen, die Hände gegen den Magen gedrückt. Seine gesamte Körperhaltung sprach von unerträglichen Qualen, aber er schrie nicht ein einziges Mal auf. Plötzlich hielt Clary es nicht mehr aus. Sie stürmte zu ihm, durch das blendende Licht hindurch, ging neben ihm auf die Knie und schlang die Arme um ihn. Die wispernden Stimmen um sie herum schwollen zu einem Proteststurm an, als Jace den Kopf drehte und Clary ansah. Das gleißende Silberlicht hatte die Farbe seiner Augen verblassen lassen — sie wirkten so stumpf und weiß wie Marmor. Seine Lippen formulierten stumm ihren Namen.
Und dann war schlagartig alles vorüber — das Licht, die Geräusche — und sie knieten zusammen auf dem nackten Boden, umhüllt von Stille und Schatten. Jace zitterte, und als er die Hände öffnete, sah Clary, dass sie blutig waren: seine Fingernägel hatten sich tief in die Haut gegraben. Noch immer einen Arm um seine Schulter gelegt, schaute Clary zu den Stillen Brüdern hoch, angestrengt bemüht, ihren Zorn hinunterzuschlucken. Sie wusste, die Situation war vergleichbar mit der Wut auf einen Arzt, der eine schmerzhafte, aber lebensrettende Behandlung durchführt. Trotzdem fiel es schwer, sehr schwer, vernünftig zu bleiben, wenn es jemanden betraf, den man liebte.
Da gibt es etwas, das du uns verschwiegen hast, Clarissa Morgenstern, sagte Bruder Zachariah. Ein Geheimnis, das ihr beide vor der Welt gehütet habt.
Eine eiskalte Hand schloss sich um Clarys Herz. »Was meinen Sie?«
Dieser Junge ist vom Tode gezeichnet. Ein anderer der Stillen Brüder sprach zu ihr — Enoch, überlegte Clary.
»Vom Tode gezeichnet?«, fragte Jace. »Soll das heißen, dass ich sterben werde?« Er klang nicht sehr überrascht.
Wir meinen damit, dass du schon tot gewesen bist. Du hattest das Portal bereits durchschritten, das Schattenreich betreten. Deine Seele hatte sich von deinem Körper gelöst.
Clary und Jace wechselten einen kurzen Blick und Clary musste schlucken. »Der Erzengel Raziel …«, setzte sie an.
Ja, der Junge trägt auch sein Zeichen. Enochs Stimme klang vollkommen emotionslos. Es gibt nur zwei Wege, die Toten zurückzuholen: Das eine ist die Nekromantie, die schwarze Magie der Totenbeschwörung. Dadurch wird ein lebensähnlicher Zustand erzeugt. Aber nur ein Engel Gottes kann eine menschliche Seele in ihren Körper zurückführen, so mühelos … wie dem ersten Menschen auf dieser Welt Leben eingehaucht wurde. Der Stille Bruder schüttelte den Kopf. Das Gleichgewicht zwischen Leben und Tod, zwischen Gut und Böse, ist sehr fragil, meine jungen Schattenjäger. Und ihr habt es empfindlich gestört.
»Aber Raziel ist doch ein Erzengel«, gab Clary zu bedenken. »Er kann tun, was immer er will. Sie beten ihn doch an, oder etwa nicht? Wenn er die Wahl getroffen hat, dies zu tun …«
Hat er das denn?, fragte ein anderer Stiller Bruder. Hatte er denn die Wahl?
»Ich ….« Clary warf Jace einen Blick zu. Ich hätte den Engel um alles in der Welt bitten können: Weltfrieden, das Ende aller Krankheiten, das ewige Leben. Aber ich wollte nur dich.
Wir wissen von dem Ritual der Engelsinsignien, sagte Zachariah. Wir wissen, dass derjenige, der sie alle besitzt, den Erzengel um die Erfüllung eines Wunsches bitten kann. Und ich denke nicht, dass Raziel dir diesen Wunsch abschlagen konnte.
Clary hob das Kinn. »Was passiert ist, ist passiert.«
Jace stieß ein freudloses Lachen aus. »Es besteht immer noch die Möglichkeit, mich zu töten. Um das Gleichgewicht wiederherzustellen«, bemerkte er.
Clarys Griff um seinen Arm verstärkte sich. »Sei nicht albern«, sagte sie, doch ihre Stimme klang dünn und ihre Anspannung wuchs noch weiter, als Bruder Zachariah sich aus der Gruppe der anderen Brüder löste und auf sie zukam, wobei seine Füße über die Sprechenden Sterne zu schweben schienen. Schließlich blieb er vor Jace stehen und Clary musste den Impuls unterdrücken, ihn wegzustoßen, als er sich vorbeugte, seine langen Finger unter Jace’ Kinn legte und dessen Gesicht zu sich anhob. Zachariahs Finger waren schlank und faltenlos — die Hände eines jungen Mannes. Clary hatte bisher kaum einen Gedanken an das Alter
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