Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
Bandpostern, Sportpokalen, Kartons mit seinen heiß geliebten Spielen, Musikinstrumenten und Büchern — eben mit all jenem Krimskrams eines ganz normalen Lebens. Sie hatte ihn nie gefragt, ob sie ihn besuchen könne, und er hatte es von sich aus auch nicht vorgeschlagen. Irgendwie hatte sie sich immer gescheut, seine Mutter kennenzulernen oder irgendetwas anderes zu tun, das möglicherweise darauf hindeuten könnte, dass sie sich stärker festlegte, als sie es tatsächlich wollte. Aber nun, da sie diese leere Hülle eines Raums musterte und das hektische Treiben der Stadt um sich herum spürte, empfand sie plötzlich Angst um Simon, vermischt mit einem ebenso überfallartigen Anflug von Bedauern.
Sie drehte sich um, um zu den anderen zurückzukehren, hielt aber inne, als sie leise Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte. Nach einem Moment erkannte sie Maias Stimme: Sie klang überhaupt nicht wütend, was recht erstaunlich war, wenn man bedachte, wie sehr sie Jordan hasste.
»Nichts«, sagte die junge Werwölfin in diesem Augenblick. »Nur ein paar Schlüssel und ein Stapel Zettel mit Spielresultaten.«
Vorsichtig schaute Isabelle um den Türpfosten herum. Sie konnte Maia sehen, die auf der einen Seite der Küchentheke stand, eine Hand in der Reißverschlusstasche von Simons Rucksack. Jordan stand auf der anderen Seite der Theke und beobachtete sie — beobachtete Maia und nicht das, was sie tat, überlegte Isabelle. Er starrte sie auf eine Weise an, wie Jungs nur Mädchen anstarrten, in die sie so verknallt waren, dass sie jede einzelne Bewegung ihrer Angebeteten total faszinierend fanden.
»Ich überprüf mal seine Brieftasche«, verkündete Maia.
Jordan, der seinen Anzug inzwischen wieder gegen Jeans und Lederjacke getauscht hatte, runzelte die Stirn. »Merkwürdig, dass er die hiergelassen hat. Kann ich mal sehen?«, fragte er, beugte sich über die Theke und streckte den Arm aus.
Ruckartig wich Maia zurück — derart abrupt, dass sie die Brieftasche fallen ließ und dann abwehrend die Hände hochriss.
»Ich wollte nicht …« Langsam zog Jordan seine Hand zurück. »Tut mir leid.«
Maia holte tief Luft. »Hör zu«, sagte sie schließlich, »Ich hab mit Simon gesprochen. ich weiß, dass du mich nicht vorsätzlich gebissen hast und dass du selbst nicht wusstest, was mit dir passierte. Ich erinnere mich noch gut daran, wie das war: Während der Verwandlung hatte ich schreckliche Angst.«
Langsam und sehr bewusst legte Jordan seine Hände auf die Theke. Es war seltsam, jemanden so Großes dabei zu beobachten, wie er sich möglichst klein und harmlos zu machen versuchte, überlegte Isabelle. »Ich hätte damals für dich da sein müssen«, murmelte Jordan.
»Aber die Praetor haben dich nicht gelassen«, sagte Maia. »Und seien wir doch mal ehrlich: Du hattest doch auch keine Ahnung, wie man als Werwolf zurechtkommt. Wir wären wie zwei Blinde nur im Kreis herumgestolpert. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass du damals nicht da warst. Denn dadurch bin ich fortgelaufen und dorthin geflohen, wo ich Hilfe finden konnte. Zu meinem Rudel.«
»Anfangs hab ich noch gehofft, die Praetor Lupus würden auch dich irgendwann zu uns bringen«, wisperte Jordan. »Damit ich dich wiedersehen konnte. Doch dann ist mir klar geworden, wie egoistisch das war; stattdessen hätte ich mir besser wünschen sollen, ich hätte dich nicht infiziert. Ich wusste, die Chancen auf eine Übertragung der Krankheit standen fifty-fifty und habe gehofft, du wärst vielleicht eine der Glücklichen, die sich nicht angesteckt hatten.«
»Tja, das war aber nun nicht der Fall«, stellte Maia nüchtern fest. »Und im Laufe der Jahre habe ich dich in meinem Kopf zu einer Art Monster aufgebauscht. Ich dachte, du wüsstest, was du tust. Deinen Angriff hab ich für einen Racheakt gehalten, weil ich einen anderen Jungen geküsst hatte. Also hab ich dich gehasst. Und der Hass hat alles leichter gemacht — der Hass und die Tatsache, dass ich jemandem die Schuld geben konnte.«
»Du solltest mir auch die Schuld geben«, erwiderte Jordan. »Denn es war mein Fehler.«
Nachdenklich fuhr Maia mit dem Finger über die Arbeitsfläche der Küchentheke, wobei sie seinem Blick jedoch auswich. »Ich gebe dir auch die Schuld. Aber … nicht so wie früher.«
Jordan packte sich mit beiden Händen in die Haare und zog daran. »Es geht nicht ein Tag vorüber, an dem ich nicht darüber nachdenke, was ich dir angetan habe. Ich habe dich gebissen. Dich verwandelt. Dich
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