Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
Fingerspitzen sahen bereits ganz blau aus und ihr ganzer Körper war durchgefroren und wie betäubt.
Jace riss die Glastür auf und ging voraus ins Innere des Gebäudes, wo glücklicherweise etwas höhere Temperaturen herrschten. Es war seltsam, von jemandem getragen zu werden, dessen Brust sich nicht mehr zum Atmen hob und senkte, dachte Clary. Simon schien noch immer von einem merkwürdigen Stromfeld umgeben zu sein — ein Überbleibsel des grell-weißen Lichts, das die gesamte Dachterrasse erfasst hatte, als Lilith zerstört wurde. Clary hätte ihn gern gefragt, wie er sich fühlte, aber Jace hatte sie alle in ein derart umfassendes Schweigen gehüllt, dass sie es nicht wagte, die Stille zu durchbrechen.
Stumm streckte Jace den Arm zum Aufzugpaneel aus, um den Fahrstuhl herbeizurufen. Doch noch bevor sein Finger den Knopf berührte, schwang die Tür auf … und Isabelle stürmte förmlich in den Vorraum, ihre silbergoldene Peitsche wie einen Kometenschweif hinter sich herziehend und dicht gefolgt von Alec.
Als sie Jace, Clary und Simon sah, blieb sie so abrupt stehen, dass ihr Bruder sie beinahe umgerannt hätte — ein Anblick, der unter anderen Umständen fast schon komisch gewesen wäre. »Aber …«, setzte Isabelle keuchend an. Ihre Arme waren mit Schnittwunden übersät, ihr wunderschönes rotes Kleid hatte mehrere Risse an den Knien und aus ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur hatten sich zahlreiche Strähnen gelöst, die nun verfilzt und blutverklebt herabhingen. Auch Alec sah nicht viel besser aus: Sein linker Ärmel war bis zum Ellbogen aufgeschlitzt, allerdings schien die Haut darunter unversehrt zu sein. »Was macht ihr denn hier?«, stieß Isabelle hervor.
Jace, Clary und Simon starrten die beiden mit großen Augen an, zu verwirrt für eine Antwort. Schließlich fing Jace sich und erwiderte trocken: »Dasselbe könnten wir euch fragen.«
»Ich hab gar nicht … wir dachten … dass du und Clary … dass ihr noch auf der Party wärt«, stammelte Isabelle. Selten hatte Clary sie derart aufgewühlt erlebt. »Wir sind hier, weil wir nach Simon gesucht haben«, fügte sie etwas beherrschter hinzu.
Clary spürte, wie sich Simons Brust hob — eine Art Reflex, wie ein Mensch, der vor Überraschung nach Luft schnappt. »Wirklich?«
Isabelle errötete. »Ich …«
»Jace?«, wandte Alec sich im Kommandoton an seinen Stiefbruder. Nachdem er Clary und Simon einen erstaunten Blick zugeworfen hatte, konzentrierte er seine Aufmerksamkeit wie üblich auf Jace. Er mochte zwar nicht mehr in ihn verliebt sein — falls er das jemals wirklich gewesen war —, aber die beiden waren immer noch Parabatai und im Kampf galt Alecs größte Sorge Jace’ Sicherheit. »Was tust du hier? Und was um Himmels willen ist mit dir passiert?«
Einen Moment lang starrte Jace Alec an, als hätte er ihn noch nie gesehen. Er wirkte wie jemand in einem Albtraum, der eine unbekannte Landschaft betrachtete — allerdings nicht, weil diese besonders verblüffend oder dramatisch war, sondern weil er sich für den nächsten Schrecken zu wappnen versuchte, wie auch immer dieser aussehen mochte. »Stele«, krächzte er schließlich mit brechender Stimme. »Hast du deine Stele dabei?«
Verwirrt griff Alec zu seinem Gürtel. »Natürlich«, sagte er und hielt Jace den schimmernden, glasartigen Stab entgegen. »Wenn du eine Iratze benötigst …«
»Ich brauch sie nicht für mich«, erwiderte Jace, noch immer in diesem seltsamen heiseren Tonfall, »sondern für sie.« Er zeigte auf Clary. »Sie braucht sie viel dringender als ich.« Sein Blick traf sich mit dem seines Stiefbruders — Gold und Blau. »Bitte, Alec«, flehte er; der raue Ton in seiner Stimme war so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. »Bitte hilf ihr, tu es für mich.« Dann wandte er sich ab, ging mit steifen Schritten zur Glastür und starrte hinaus. Ob er nun auf den Dachgarten oder auf sein eigenes Spiegelbild schaute, vermochte Clary nicht zu sagen.
Alec sah Jace einen Moment nach, dann eilte er mit gezückter Stele zu Clary und Simon und bedeutete diesem, die junge Schattenjägerin auf dem Boden abzusetzen. Simon kam der Aufforderung sofort nach, lehnte Clary mit dem Rücken gegen eine der Mauern und trat einen Schritt zurück, während Alec sich neben sie kniete und sie ratlos betrachtete. Als er erkannte, wie tief die Wunden auf ihrer Schulter und ihrem Rumpf waren, wandelte sich die Verwirrung in Bestürzung: »Wer hat dir das angetan?«
»Ich …«
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