Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
hinter ihm auf der Straße Reifen quietschten, doch er schaute sich nicht um. In dieser Gegend wurde ständig zu schnell gefahren, trotz der Risse und Schlaglöcher im Straßenbelag. Erst als der blaue Lieferwagen neben ihm vorfuhr und knirschend zum Stehen kam, drehte Simon sich zu dem Wagen.
Der Fahrer riss den Schlüssel aus dem Zündschloss, woraufhin der Motor erstarb, und stieß seine Tür auf. Es handelte sich um einen Mann, einen großen Mann in Turnschuhen und einem grauen Trainingsanzug mit Kapuze, die so tief heruntergezogen war, dass sie den größten Teil seines Gesichts verdeckte. Er sprang vom Fahrersitz herunter und Simon sah, dass er ein langes schimmerndes Messer in der Hand hielt.
Später sollte Simon zum Schluss kommen, dass er einfach hätte weglaufen sollen. Schließlich war er ein Vampir und damit schneller als jeder Mensch: Er konnte jeden Sterblichen mühelos hinter sich lassen. Er hätte wirklich davonlaufen sollen, doch er war zu überrascht. Also stand er nur stocksteif da, als der Mann mit dem glitzernden Messer auf ihn zukam. Dann stieß der Angreifer mit tiefer, kehliger Stimme ein paar Worte hervor, in einer fremden Sprache, die Simon nicht verstand.
Simon wich einen Schritt zurück. »Ganz ruhig, Mann«, setzte er an und griff zu seiner Gesäßtasche. »Du kannst mein Portemonnaie ja haben …«
Doch der Mann stürzte auf ihn zu, die Waffe auf seine Brust gerichtet. Ungläubig schaute Simon an sich herab: Alles schien sehr langsam, wie in Zeitlupe zu passieren. Er sah die Spitze der Klinge auf seiner Brust, sah, wie sie das Leder seiner Jacke eindrückte … und dann zur Seite glitt, als hätte jemand den Arm des Angreifers gepackt und weggerissen. Im nächsten Moment schrie der Mann laut auf und wurde wie eine Marionette an ihren Drähten in die Luft gewirbelt. Hastig schaute Simon sich um — irgendjemand musste den ganzen Tumult doch gehört oder bemerkt haben, aber weit und breit war niemand zu sehen. Der Mann schrie weiterhin wie am Spieß und zuckte und zappelte, während sein T-Shirt vorne aufklaffte, als würde das Gewebe von unsichtbaren Händen zerrissen.
Entsetzt starrte Simon auf das Geschehen. Tiefe Wunden erschienen auf dem Oberkörper des Mannes. Sein Kopf flog nach hinten und Blut schoss aus seinem Mund. Seine Schreie verstummten schlagartig und dann stürzte er zu Boden — als hätte die unsichtbare Hand sich geöffnet und ihn freigegeben. Mit einem dumpfen Dröhnen schlug er auf dem Pflaster auf und zerschellte dann wie Glas in Tausende glitzernde Partikel, die sich über den Gehweg verteilten.
Simon sank auf die Knie. Das Messer, das ihn hatte töten sollen, lag nur wenige Schritte entfernt — das Einzige, was von dem Angreifer noch übrig geblieben war, abgesehen von einem Haufen schimmernder Kristalle, die der böige Wind bereits in alle Himmelsrichtungen zerstreute. Vorsichtig berührte Simon eines der Körnchen. Es war Salz.
Simon schaute auf seine Hände herab. Sie zitterten. Er wusste, was passiert war und auch warum.
Da sprach der HERR: Fürwahr, wer Kain totschlägt, zieht sich siebenfache Rache zu!
So sah also siebenfache Rache aus.
Er schaffte es gerade noch bis zum Rinnstein, ehe er sich auch schon zusammenkrümmte und sich blutig auf die Straße erbrach.
In dem Moment, in dem Simon die Haustür öffnete, wusste er, dass er sich verschätzt hatte. Er hatte gedacht, seine Mutter schliefe längst, aber das war nicht der Fall. Sie saß hellwach im Flur, in einem Sessel, der zur Tür gewandt war, das Telefon neben sich auf einem Tischchen. Und das Blut auf seiner Jacke sah sie sofort.
Zu seiner Überraschung schrie sie nicht auf, sondern schlug nur erschrocken eine Hand vor den Mund: »Simon!«
»Das ist nicht mein Blut«, erklärte er hastig. »Ich war bei Eric … und Matt hatte Nasenbluten …«
»Spar dir die Mühe.« Einen derart harschen Ton schlug sie nur selten an — er erinnerte Simon an die Zeit, als sein Vater im Sterben gelegen hatte und Sorgen und Angst die Stimme seiner Mutter scharf wie ein Messer hatten klingen lassen. »Ich will mir keine weiteren Lügen von dir anhören.«
Simon legte den Hausschlüssel auf den Tisch neben der Tür. »Mom …«
»Du erzählst mir nichts als Märchen. Ich bin es endgültig leid.«
»Das stimmt doch gar nicht«, widersprach Simon, aber er wusste, dass sie recht hatte, und verspürte einen Stich im Magen. »Ich hab im Moment einfach nur furchtbar viel zu tun.«
»Das kann ich mir
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