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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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dass Oskar für einen Moment die Augen schließen musste. Als er sie wieder öffnete, glaubte er, er würde träumen. Das Licht strahlte durch Valkrys’ rote Haare und verwandelte sie in einen Kranz aus Flammen. Ein übernatürliches Schimmern hüllte ihren Körper ein.
    Auch Yupan blickte staunend auf die wundersame Lichterscheinung. Wie versteinert stand er da. Ein paar Mal blickte er zwischen Charlotte und der Söldnerin hin und her, dann fiel er vor der Söldnerin auf die Knie. »Inti k’anchay!«
    Ein Raunen ging durch die Reihen seiner Männer. In ungläubigem Staunen schauten sie auf die flammende Gestalt, dann sanken auch sie auf die Knie.
    Oskar runzelte die Stirn. Inti k’anchay? Das hatte er doch schon einmal gehört. Damals, als sie Yupan zum ersten Mal begegnet waren. Konnte es sein, dass …?
    Ihm stockte der Atem. Wie vom Donner gerührt blickte er zu Charlotte hinüber. Sie nickte. Sie dachte genau das Gleiche wie er.
    Sie hatten sich die ganze Zeit geirrt. Nicht Charlotte war die Sonnenkönigin, Valkrys war es.
    Sie war es von Anfang an gewesen. Es passte alles zusammen. Eine Königin, die über das Meer gereist kam, mit Haaren, flammend wie die untergehende Sonne. Eine Kriegerkönigin, die den Kampf mit den Ukhu Pacha aufnehmen und deren Herrscherin töten würde. Eine Königin aus Licht, die dem Himmelsvolk seine Freiheit wiedergeben und es in ein neues, goldenes Zeitalter führen würde – und die dabei ihr Leben verlieren würde.
    Es gab ein letztes Aufflammen, dann verschwand die Sonne hinter den Bergen.

53
     
    Drei Tage später …
     
    Valkrys war tot.
    Ihr Herz war in dem Augenblick stehen geblieben, als die Sonne hinter den Bergen versank. Selbst Eliza hatte das Unvermeidliche nicht aufhalten können. Über eine Stunde lang hatte sie versucht, den immer kälter werdenden Körper ins Leben zurückzurufen, doch schließlich musste sie sich geschlagen geben. Die Söldnerin würde nie wieder ihr Daito ziehen. Sie hatte ihr Leben gegeben, damit andere leben konnten. Ohne es zu wollen und ohne dass es ihr je bewusst gewesen wäre, war sie zum Teil einer Geschichte geworden, die größer war als sie selbst. Sie war zur Legende geworden.
    Die Altarfeuer auf dem Platz vor dem Sonnentempel brannten drei Tage lang. Drei Tage, in denen die Bevölkerung von Xi’mal in einer nicht enden wollenden Prozession an ihr vorbeizog und ihr das letzte Geleit gab. Ihr Schwert bekam einen Ehrenplatz in der heiligen Halle, zusammen mit dem Zahn der Insektenkönigin, der Zeugnis davon gab, welch ungleicher Kampf hier ausgefochten worden war. Man präparierte ein Schiff und legte ihren Leib darauf, auf dass sie ihren Weg zu Infi, dem Sonnengott, finden möge. Dann ließ man es steigen. Immer höher flog es, bis es vom Wind erfasst und über die Berge hinweg in unbekannte Gegenden getragen wurde.
    Die riesigen Insekten waren aus dem Tal verschwunden, genau wie die Prophezeiung vorausgesagt hatte. Ohne ihre Königin gab es für sie keinen Grund mehr, das hart umkämpfte Territorium noch länger zu halten. Sie waren weitergezogen, irgendwo in die unerforschten Gebiete der Hochkordilleren, um dort eine neue Königin zu wählen und einen neuen Staat zu gründen.
    Humboldt war während dieser drei Tage sehr schweigsam gewesen. Er war in sich gekehrt und sprach höchstens mit Eliza oder Yupan, mit dem er stundenlange Wanderungen in der Stadt unternahm. Das sei seine Art zu trauern, erklärte Eliza – seine Art, Abschied zu nehmen.
    Auch Boswell und Pepper ließen sich kaum noch blicken. Hin und wieder konnte man sie dabei beobachten, wie sie auf eigene Faust die Stadt erkundeten, Streifzüge unternahmen und Pläne schmiedeten. Die meiste Zeit aber waren sie verschwunden, mischten sich unter die Bewohner, aßen, tranken und lernten das Leben in Xi’mal kennen. Eliza, Oskar und Wilma blieben bei Charlotte, deren Genesung mit jedem Tag weiter voranschritt. Bereits am zweiten Tag war sie so weit, dass sie aufstehen konnte. Am dritten Tag konnte sie sogar schon kleinere Spaziergänge unternehmen. Die weisen Frauen im Haus der Heilung hatten wahre Wunder bewirkt. Sogar Eliza hatte von ihnen noch das eine oder andere lernen können. Das Gift war aus Charlottes Körper verschwunden und die Wunden begannen zu heilen. Die Erinnerung an ihre Gefangennahme und an die Zeit, die sie im Kokon verbracht hatte, kehrte nicht zurück. Ob sie sich noch an den Kuss erinnerte, konnte Oskar nicht mit Gewissheit sagen. Er hatte bisher nicht

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