Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
Verspätungen und jetzt das. Das Postschiff, das ihn eigentlich schon vor einer knappen Woche von San Francisco nach Callao hätte bringen sollen, lag immer noch im Hafen und wartete darauf, beladen zu werden. Die Morning Star hatte bei ihrer letzten Fahrt an verschiedenen Stellen Wassereinbrüche gehabt. Sie musste ins Trockendock gebracht und an den betreffenden Stellen kalfatert werden. Einen Ersatz gab es nicht. Der Clipper war eines der letzten Vollholzschiffe, die noch zur See fuhren, ein schnittiges, wenn auch klappriges Relikt aus den guten alten Tagen der Segelschifffahrt. Eigentlich gehörte er längst in die stetig wachsende Museumsflotte, die hier am Fisherman’s Wharf vor Anker lag, doch das Schicksal machte sich offenbar einen Spaß daraus, ihn – Max Pepper -auf so einem alten Zossen in sein ungewisses Schicksal zu entsenden. Nun, das Schicksal hatte einen Namen. Alfons T. Vanderbilt, sein notorisch geiziger Chef. Er lachte sich jetzt bei dem Gedanken an seinen Redakteur, der zwischen Postsäcken und Käfigen voller Hühner auf einem alten Segler gen Süden schipperte, vermutlich ins Fäustchen. Die Frage war nur, ob er immer noch lachen würde, wenn er von der Verzögerung erfuhr, über die Pepper ihn heute Morgen per Telegramm informiert hatte.
Der andere Punkt, der den Redakteur ärgerte, betraf Valkrys Stone. Seine Begleitung hätte sich eigentlich längst mit ihm in Verbindung setzen sollen. Es war ausgemacht gewesen, dass sie ihn hier in San Francisco kontaktieren und an einem vorher vereinbarten Treffpunkt aufsuchen sollte. Nichts davon war geschehen. Jeden Tag fragte Pepper an der Rezeption seines drittklassigen Hotels nach, ob irgendjemand eine Nachricht für ihn hinterlassen hatte, immer mit dem gleichen Ergebnis. Mittlerweile bezweifelte er ernsthaft, dass Miss Stone überhaupt in der Stadt war.
Er nahm noch einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, faltete den San Francisco Chronicle zusammen und legte ihn auf den Tisch. Dann zog er ein paar Cent aus der Tasche, legte sie daneben, stand auf und verließ das Teehaus. Bei dem Gekreische, das die Möwen hier veranstalteten, konnte man sowieso nicht lesen.
Der Fisherman’s Wharf war ein schrecklicher Ort. Schmutzig, voll und laut. Entlang der Piers reihten sich Clubs, in denen leicht bekleidete Damen zur Musik eines Pianos die Beine in die Luft warfen. Es gab Steakhäuser, die nach altem Fett stanken, und Trinkhallen, in denen man durch Pfützen von Bier waten musste, um überhaupt an die Bar zu gelangen. Dazwischen tummelten sich Zauberkünstler und Taschenspieler, Penner, Säufer und bettelnde Kriegsveteranen. Das Publikum selbst bestand aus Seeleuten, die ihren Sold verprassten, und Touristen, die nach leichter Unterhaltung suchten. Warum er diesen Ort überhaupt aufgesucht hatte, war ihm selbst ein Rätsel. Vielleicht um sich abzulenken. Max beschloss, die Morning Star aufzusuchen und nachzuschauen, ob man inzwischen mit dem Einladen des Gepäcks begonnen hatte. Die Abfahrt war für heute fünfzehn Uhr angesetzt. Bis dahin hatte er noch zwei Stunden Zeit. Er hatte keine Lust, hier noch weiter herumzuhängen und darauf zu warten, dass Miss Stone endlich eintraf. Genauso gut konnte er an Bord gehen und die Füße etwas hochlegen.
Den Wharf hinter sich lassend, schlenderte er die Lagerhäuser entlang zum Pier dreizehn. Schon nach wenigen hundert Metern ließ der Lärm nach. Es war doch erstaunlich, wie ruhig es wurde, wenn man erst das Herz dieser sündigen Meile hinter sich gelassen hatte. Außer ein paar Hafenarbeitern und Chinesen verirrte sich kaum noch jemand hierher. Von Weitem drang das Bellen von Seelöwen an sein Ohr. Selbst das Kreischen der Möwen wirkte hier friedlicher. Max blieb stehen, atmete die salzige Luft ein und genoss die Aussicht. Der Blick über die Bay war atemberaubend. Der Nebel hatte sich verzogen und das Wasser schimmerte in Hunderten von Blautönen. Die ganze Bucht war voller Wasserfahrzeuge. Fischerboote, Sportboote, Lastkähne, Passagierschiffe und chinesische Dschunken. Ihre Segel glitzerten im Licht der Nachmittagssonne wie Schaumkronen. Ein wunderbarer Anblick, wären da nicht die Klippen der Gefängnisinsel Alcatraz gewesen, die der Szenerie einen Teil ihrer Unbefangenheit nahmen.
Pepper wollte gerade seinen Weg fortsetzen, als merkwürdige Laute an sein Ohr drangen. Es war das rohe Gelächter von Männern und kam von einem der vorderen Lagerhäuser.
»Na, Püppchen? So ganz allein unterwegs?«
»Was
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