Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
Lebewesen, das imstande ist zu denken, zu fühlen und zu handeln. Daron will leben und sie will sich vermehren. Sie ist wie eine Bienenkönigin, die einen Hofstaat um sich geschart hat und nun ihr Reich vergrößern möchte. Wir Menschen sind dabei das Einzige, was ihr im Wege steht.«
»Ich habe geschworen, diesem Treiben ein Ende zu bereiten und daran halte ich fest«, erklärte Humboldt. »Sagen Sie mir, was ich tun soll.«
»Gut.« Aus Livanos’ Stimme war Zufriedenheit herauszuhören. »Die Tatsache, dass Sie zwei Linguaphone besitzen, verschafft uns einen großen Vorteil. Daron kann alle Kanäle innerhalb der Stadt abhören, sofern sie ihr bekannt sind. Ich weiß nicht, wie lange wir noch im Verborgenen kommunizieren können, aber wir sollten diese Möglichkeit auf jeden Fall nutzen.«
Humboldt nickte. »Na schön«, sagte er. »Sie sprachen von einer Möglichkeit, von hier zu fliehen. Was haben Sie damit gemeint?«
52
Wilma spürte, wie sie hochgehoben und in den Gang gesetzt wurde. Vor ihr glänzte ein langer dunkler Schacht. Seiten und Decke waren gerade hoch genug, dass sie mit gesenktem Kopf hineinlaufen konnte. Ihre hornigen Füße rutschten auf dem blanken Metall aus.
»Gang dunkel, Gang lang«, piepste sie ängstlich.
»Das weiß ich«, antwortete die Stimme ihres Herrn aus dem Kasten auf ihrem Rücken. »Du musst es trotzdem wagen. Du bist unsere einzige Hoffnung. Wirst du es versuchen?«
Wilma blickte in den finsteren Tunnel. Schließlich gab sie sich einen Ruck und ging hinein. »Wilma versucht.«
Der Kasten übersetzte ihre Worte in die Sprache der Menschen. Seit Charlotte dieses Ding erfunden hatte, fühlte sich Wilma zum ersten Mal im Leben wirklich verstanden. Als wäre sie eine von ihnen.
Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, trippelte sie ein Stück den Gang hinunter. Ein unangenehmer Luftstrom kam ihr entgegen. Er trug den Geruch von Meereslebewesen mit sich. Diese komischen kleinen Dinger, die wie silberne Geschosse außerhalb der Wohnkugeln umherschwirrten. Wie hatte ihr Meister sie genannt? Fische. Vögel, die unter Wasser fliegen können. Seltsam. Alles hier unten war seltsam.
Wilma tapste weiter den Gang entlang. Der Weg war abschüssig. Sie musste aufpassen, dass sie nicht ins Rutschen geriet. Auf dem glatten Untergrund konnte sie sich nicht mit ihren Krallen festhalten.
Nach einer Weile wurde der Wind stärker. Die Dunkelheit wich einem kleinen Licht am Ende des Tunnels. Rasch wurde es größer. Ein befremdliches Surren drang ihr ans Ohr.
Als sie das Ende beinahe erreicht hatte, sah sie, dass ein drehendes Etwas mit breiten Flügeln den Ausgang versperrte. Hier war der Wind am stärksten. Sie trat einen Schritt vor. Ein heftiger Schlag gegen den Schnabel ließ sie zurücktaumeln. Sie stieß einen Schmerzenslaut aus.
»Was ist los, Wilma? Gibt es ein Problem?«
»Böse Flügel. Wollen Wilma nicht durchlassen.«
»Flügel?«
»Wahrscheinlich meint sie den Ventilator am Ende des Belüftungsschachtes«, meldete sich eine andere Stimme.
Wilma erkannte den Herrscher dieser fremdartigen Stadt.
»Sie muss ihn abschalten, wenn sie weiterkommen will.«
»Reden Sie direkt mit ihr«, schlug Humboldt vor. »Verwenden Sie einfache Worte. So, als würden Sie mit einem Kleinkind sprechen.«
»Ich werde es versuchen«, sagte Livanos. »Wilma, verstehst du mich? Weißt du, wer ich bin?«
»Vogel ohne Beine«, entgegnete Wilma. Sie war immer noch verunsichert, was es mit diesem schnell rotierenden Ding auf sich hatte.
»Hm … ja. Also, Wilma, du darfst dem schnell drehenden Ding auf keinen Fall zu nahe kommen. Es ist sehr gefährlich.«
»Wilma gemerkt.«
»Nun sieh dich um. Auf einer Seite sollte ein kleiner grauer Kasten sein. Darüber befindet sich eine graue Plastikabdeckung. Kannst du sie sehen?«
»Kasten? Plastikabdeckung? Wilma nicht versteht.«
»Hm. Siehst du etwas, das aussieht wie ein eckiges Ei?«
»Eckiges Ei, ja.«
»Versuch mal, ob du die Schale anheben kannst. Sie ist nicht verschraubt oder so, du müsstest sie einfach mit dem Schnabel aufbekommen.«
»Was darin?«, fragte Wilma.
»Würmer«, lautete die Antwort. »Lange bunte Würmer.«
Neugierig trat Wilma an das graue Ding. Die Aussicht, endlich etwas anderes zu essen zu bekommen, beflügelte ihren Ehrgeiz. Sie pickte gegen die Schachtel, versuchte es von oben, von unten und den Seiten, doch das Ding wollte einfach nicht aufgehen. Wütend setzte sie ihre Versuche fort. Endlich tat
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